Schön, dass wir darüber geredet haben?
ver.di-Tagung am 5.11.2012Gut zwei Jahre nach der gesetzlichen Etablierung der Beiräte in den Jobcentern ist es Zeit für ein Resümee: Was bringen uns die Beiräte? Haben Gewerkschafter/innen dort die Möglichkeit, gestaltend auf die Arbeitsförderung für Erwerbslose in der Grundsicherung, vielleicht sogar auf ihre Lebensbedingungen und die ihrer Angehörigen, Einfluss zu nehmen? Oder sitzen wir dort ohne die Möglichkeit der Mitgestaltung kostbare Zeit ab?
ver.di ist mit haupt- und ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen in den Beiräten vieler Jobcenter vertreten. Mittlerweile können wir auf hohen Sachverstand und Erfahrungswissen hinsichtlich der Gestaltung der regionalen Arbeitsmarktpolitik zurückgreifen. Die Formulierung des Aufgabenbereiches in § 18d SGB II wirft jedoch einige Fragen zum Umfang der Mitwirkungsmöglichkeiten auf.
Der Ausweitung der Rechte der Beiräte, so wie von DBG, ver.di, BDA und ZDH gefordert, widersetzt sich die Bundesregierung. Im Zuge der Organisationsreform 2010 haben die Verbände gefordert:
- Bei jedem örtlichen Beirat ist ein Ausschuss aus Vertretern der lokalen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationenzu bilden, der die Grundsicherungsträger beim Einsatz öffentlich geförderter Beschäftigungsmaßnahmen berät.
- Dieser Einsatz sollte mit vollständiger Transparenzverbunden und
- Arbeitnehmer/innen- und Arbeitgebervertreter in den Ausschüssen mit einem Vetorecht ausgestattet werden.
Seit 2004 hat die Selbstverwaltung in der Bundesagentur für Arbeit einen erheblichen Bedeutungsverlust erlitten. Dennoch haben Mitglieder in den Verwaltungsausschüssen der Arbeitsagenturen über ihre beratende Funktion mehr Rechte als Mitglieder in den Beiräten der Jobcenter. Dies wird damit begründet, dass hier Versicherungsleistungen, dort steuer-
finanzierte Leistungen gewährt, hier eine Sozialversicherung, dort auch die Kommunen in der Verantwortung stehen. Aber ist diese Denkweise in Zeiten, in denen wir über eine Bürgergesellschaft sprechen, noch zeitgemäß? Dieser Frage sind wir in der diesjährigen ver.di-Tagung für Mitglieder in Beiräten und Verwaltungsausschüssen nachgegangen.
Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der FH Koblenz (ibus), fordert, die Beiräte in den Jobcentern nicht länger weitgehend sich selbst zu überlassen, sondern eine "Systementwicklung" mit dem Ziel der Professionalisierung der Beiratsarbeit zu betreiben. Der Gesetzgeber könnte den Beiräten darüber hinaus jederzeit mehr Rechte geben. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen hält Stefan Sell für nicht stichhaltig.
Präsentation zu Stefan Sells Vortrag "Selbstverständnis und Mitwirkung der Beteiligten des örtlichen Arbeitsmarktes: Abnicken oder Gestalten?"
Elke Hannack, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, bekräftigte das Ziel der gewerkschaftlichen Arbeit in den Beiräten, die Vermittlung in nachhaltige, zumutbare, existenzsichernde und sozial gesicherte Beschäftigung zu unterstützen. Seien dazu arbeitsmarktpolitische Maßnahmen notwendig, müssten diese individuell und zielgenau zur Verfügung gestellt werden. Sie verwies auf die Verschlechterung der gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Jobcenter in den vergangenen Jahren. Damit habe sich auch das Risiko der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmervertreter in den Beiräten erhöht, für eine falsch ausgerichtete aktive Arbeitsmarktpolitik instrumentalisiert zu werden.
Präsentation zu Elke Hannacks Vortrag "Schön, dass wir darüber geredet haben?"
Mitwirkende der Podiumsdiskussion zu den Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in Beiräten und Verwaltungsausschüssen:
Torsten Petrak, Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Referent in der Abteilung Arbeitsmarkt
Dr. Rainer Radloff, Geschäftsführer Jobcenter Bielefeld und Vorstandsmitglied im "Beschäftigungspolitik: kommunal e.V."
Evelyn Räder, Referentin im Bereich Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik der ver.di-Bundesverwaltung und Mitglied im Jobcenter-Beirat des Landeskreises Dahme-Spreewald
Dr. Ramona Schröder, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Berlin-Mitte und Mitglied in vier Trägerversammlungen von Jobcentern
Moderation:
Roland Tremper, stellv. ver.di-Landesbezirksleiter Berlin-Brandenburg
[Fotos: Erich Guttenberger]