Roland Kohsiek, Jahrgang 1952, ist studierter Lehrer. Nachdem er sich „in die Lehrerarbeitslosigkeit hinein qualifiziert“ hatte, kurz mit einer wissenschaftlichen Karriere liebäugelte, diese aber wegen der absehbaren prekären Perspektiven im akademischen Betrieb verwarf, landete er schließlich in der Beruflichen Bildung. Zehn Jahre hat er beim Berufsfortbildungswerk des DGB unterrichtet, die nächsten zehn Jahre dann im gleichen Unternehmen als freigestellter Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates gearbeitet. 2001 wurde er bei ver.di hauptamtlicher Landesfachbereichsleiter für Bildung, Wissen und Forschung in Hamburg. Er ist dort auch für Fort- und Weiterbildungseinrichtungen und Berufliche Rehabilitation zuständig. In den Verwaltungsausschuss der Agentur für Arbeit zog ihn sein kritisches Interesse an der fragwürdigen Vergabe von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Das Wissen und die Erfahrung, die er als Gewerkschafter und Arbeitnehmer in diesem Bereich der Arbeitspolitik sammeln konnte, bringt er seit 24 Jahren in den Verwaltungsausschuss der Agentur für Arbeit ein. Roland Kohsiek versteht sich dort als kritische Stimme und Repräsentant einer gesellschaftlichen Kraft, die Legitimationsdruck auf die Verwaltung ausübt. Er setzt sich für eine breite und nachhaltige aktive Arbeitsmarktpolitik ein, zu der er auch eine transparente Vergabepolitik zählt.
Roland Kohsiek hat unseren Fragebogen beantwortet und im Gespräch von seiner Arbeit als Selbstverwalter in der Arbeitsverwaltung berichtet:
Selbstverwaltung was ist das? Deine Antwort in 140 Zeichen.
Selbstverwaltung ist ein Ausdruck der Verantwortung derjenigen, die die Finanzierung der Versicherungsleistungen gewährleisten und auf die generelle Richtung der Sozialversicherungsträger Einfluss nehmen wollen.
GewerkschafterInnen in der Selbstverwaltung vertreten die Interessen der Versicherten. Was heißt das konkret?
Unsere Aufgabe ist die Vertretung der Interessen der Versicherten. Diese Interessen werden über die ausführlichen Diskussionen in den Vorberatungen der Gruppe der GewerkschaftsvertreterInnen geklärt und in unserer gewerkschaftlichen Arbeit erfasst. Ihre Durchsetzung wird dadurch erschwert, dass die Kompetenzen in einigen Bereichen der Selbstverwaltung beschnitten wurden. Die ständigen Veränderungen im Arbeitsförderungsgesetz, aber vor allem die Strukturreform der Arbeitsmarktpolitik durch die Hartz-Gesetze, hat den Einfluss der Selbstverwalter ausgehöhlt. Dennoch ist es wichtig, die schwer amputierte Selbstverwaltung im Interesse der Gesamtbevölkerung nicht aufzugeben, sondern im Gegenteil zu ihrer Stärkung, wo immer es möglich ist, beizutragen.
ver.di sagt: GewerkschaftsvertreterInnen in der Selbstverwaltung sind die idealen Versichertenvertreter. Warum?
GewerkschafterInnen können sich auf eine breite Basis gewonnener Positionen und Erfahrungen beziehen; sie sind in der parteilichen Interessenvertretung geübt, ohne in partielle Interessenlagen oder gar in kleinteiligen Klientelismus abzurutschen.
Viele Versicherte sagen uns: Ich weiß gar nicht, was meine Selbstverwalter für mich machen. Wie und wo können sie von Deiner Arbeit erfahren?
Ein schwieriges Thema. Die Sitzungen der Verwaltungsausschüsse finden, wie auch Aufsichtsratssitzungen von DAX-Unternehmen, erst einmal hinter verschlossenen Türen statt. Aber wir suchen nach Möglichkeiten, über Themen und Ergebnisse zeitnah zu informieren – über die gewerkschaftlichen Publikationen, aber auch in ver.di-Gremiensitzungen und in ver.di-Veranstaltungen. Dort gelingt es am ehesten, die inhaltlichen Fragen der jeweiligen Sozialversicherung vorzustellen und zur Diskussion zu stellen. Allerdings besteht dort dann oftmals die Schwierigkeit, das Spannungsverhältnis von Teilproblemen und Teilinteressen zu einer übergeordneten Sichtweise darzustellen.
ver.di hat einen kleinen Cartoon-Film gemacht, um über die Aufgaben in der Sozialversicherung zu informieren. Welches Bild in unserem Viola-Clip gefällt Dir am besten?
Der kleine Cartoon-Film ist okay. Aus nachvollziehbaren Gründen stellt er vor allem die Stärken der Selbstverwaltung dar und schweigt darüber, wo es in den letzten 30 Jahren Einschnitte in Kompetenzen gab – in vielen Bereichen ist die Selbstverwaltung heute schon arg eingeschränkt.
Du bist in der Selbstverwaltung der Agentur für Arbeit aktiv. Seit wann hast Du diese Aufgabe und was war in dieser Zeit die spannendste Herausforderung?
Ich bin seit 1990 im Verwaltungsausschuss der Agentur für Arbeit Hamburg, früher Arbeitsamt Hamburg. Seit Anfang 2005 bin ich auch stellvertretendes Mitglied im Beirat von Jobcenter team.arbeit.hamburg, eine gemeinsame Einrichtung der Freien und Hansestadt Hamburg und der Agentur für Arbeit Hamburg für die Grundsicherung gemäß Sozialgesetzbuch II zuständig. Ich bin zwar stellvertretend, aber fast immer anwesend.
Was besonders spannend ist, vermag ich gar nicht zu sagen – interessant ist die Kontinuität, nämlich über so viele Jahre zu verfolgen, wie sich politische Zielsetzungen schleichend ändern, ein gesellschaftlicher Konsens aufgeweicht wird und neue Verfahren, andere Zielsetzungen und Begründungen etabliert werden. Das bezieht sich nicht allein auf den „Bruch“ oder besser die Brüche, die mit den Hartz-Gesetzen eingesetzt haben. Die Hartz-Gesetze waren zumindest zum Teil auch Ausdruck von Entwicklungen, die lange vorher begonnen haben. In all diesen Entwicklungen spiegelt sich auch ganz konkret die Veränderungen des Sozialstaats wider.
Seit 2011 veranstaltet ver.di alljährlich im Mai den Tag der Selbstverwaltung. Dein persönliches Motto für den Tag der Selbstverwaltung 2016?
"Wir halten an der Selbstverwaltung fest!"
[6.2.2015]