18.09.24
Das höchste ver.di-Gremium der Mitglieder mit Migrationsgeschichte, der Bundesmigrationsausschuss, hat einen Appell von 55 Organisationen an die Bundesregierung unterzeichnet. Grund dafür ist die Sorge, dass es mit der so genannten Instrumentalisierungsverordnung zu einer weiteren massiven Verschärfung des europäischen Asylrechts kommt. Die schwedische EU-Präsidentschaft hatte noch auf den letzten Metern ihrer Präsidentschaft die „Verordnung für Ausnahmen im Falle von Krisen, Instrumentalisierung und höherer Gewalt“ auf den Weg gebracht, nun macht die spanische Präsidentschaft mit den Vorschlägen weiter. Unter anderem sollen so die Verzögerung von Registrierungen, die Verlängerung von Grenzverfahren – dann für so gut wie alle Gruppen von Geflüchteten – sowie massive Absenkungen bei den Unterbringungs- und Aufnahmestandards möglich werden.
Der Verordnungsentwurf wird aktuell zwischen den EU-Staaten verhandelt. Die Bundesregierung muss bei ihrem „Nein“ zur Instrumentalisierungsverordnung bleiben und darf einer Einführung der Krisen-Verordnung nicht zustimmen, fordert der ver.di-Bundesmigrationsausschuss. Der neugewählte Vorsitzende des Gremiums, Adem Öktem, der selbst als Flüchtling nach Deutschland kam, weist auf die generelle Wirkung dieser Maßnahmen für Menschen mit Migrationsgeschichte hin: „Wenn das Leben schutzsuchender Menschen an den Außengrenzen nichts mehr zählt, wird dies auch den Rassismus im Inneren der EU weiter befördern. Menschenrechte sind unteilbar und gelten unabhängig von Herkunft und Hautfarbe.“
Im Appell heißt es: „Seit Jahren verüben Mitgliedsstaaten der Europäischen Union an den Außengrenzen der EU – unter anderem mittels Notstandsmaßnahmen – schwerwiegendste Menschenrechtsverletzungen. Der Ausnahmezustand wird dazu genutzt, den Schutzsuchenden den Zugang zu humanitärer Hilfe zu verwehren und die Öffentlichkeit auszuschließen, um die Gewalt an der Grenze zu verbergen. Statt frierenden Menschen in den Urwäldern an der Grenze zu Belarus medizinisch zu helfen und ihr Asylverfahren einzuleiten, prügeln polnische Grenzschützer sie über die Grenze zurück. Statt Menschen aus Seenot zu retten, drängt die griechische Küstenwache schutzsuchende Menschen auf der Ägäis Richtung Türkei.
Das ist eine Krise der Menschlichkeit und eine Krise der Menschenrechte. Es ist auch eine Krise der Rechtsstaatlichkeit in der EU. Die Bundesregierung hat es sich mit dem Koalitionsvertrag zum Ziel gemacht, „die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen [zu] beenden“. Die nun diskutierte Verordnung wäre ein weiterer Schritt hin zu einem Europa, in dem grundlegende Werte wie Menschenwürde und Flüchtlingsschutz nicht zählen. Die Bundesregierung kann jetzt noch im Rat entscheidenden Einfluss nehmen.“
Die EU-Innenminister*innen haben sich bereits am späten Abend des 8. Juni 2023 in Luxemburg auf den Kompromissvorschlag des schwedischen EU-Ratsvorsitz zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) geeinigt. Folge ist eine Politik der Abschreckung, Abschottung und eine Einschränkung des Rechts auf Asyl. ver.di schließt sich der Kritik von Migrantenorganisationen, der Kirchen und vieler Parlamentarier an der Zustimmung der Bundesregierung zu den geplanten Verschärfungen des Asylrechts an. Europa braucht vielmehr eine menschenwürdige und nachhaltige Migrationspolitik. „Wenn die Agenda von Viktor Orban und Giorgia Meloni zur Richtschnur staatlichen Handels in Deutschland und weiteren Ländern der EU wird, drohen weitreichende negative Konsequenzen für die gesellschaftliche Ordnung in Europa“, warnt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. ver.di warnt vor Verschärfung des Asylrechts | ver.di (verdi.de)
Mit den geplanten Verschärfungen des Asylrechts, etwa mit dem verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen unter haftähnlichen Bedingungen, drohten Zustände wie in den Lagern auf den griechischen Inseln zur Regel in Europa zu werden. Diese Verfahren hätten nichts mit einem fairen, rechtsstaatlichen Vorgang zu tun, so Werneke.
Die geplante Ausweitung sicherer Drittstaaten bedeute, dass selbst geflüchtete Menschen aus Syrien oder Afghanistan in Europa zunehmend abgelehnt werden könnten – ohne ihre Fluchtgründe individuell zu prüfen, betont Frank Werneke. Gänzlich fehle die Bereitschaft im Rahmen des GEAS, die staatliche Seenotrettung im Mittelmeer zu reaktivieren und systematische Rechtsbrüche und Misshandlungen von Schutzsuchenden an den Grenzen der Mitgliedsstaaten zu unterbinden. „Wenn das Grundrecht auf Asyl nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, kommt dies einer faktischen Abschaffung gleich“, so Werneke. Die Bundesregierung müsse stattdessen dem Koalitionsvertrag treu bleiben, der vorsehe, das Leid an den Außengrenzen zu beenden und Asylanträge von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, inhaltlich zu prüfen.
Romin Khan, bei ver.di zuständig für das Thema Migrationspolitik, sagt: „Die auf dem Tisch liegenden Vorschläge gehen weit über reine Asylverfahrensfragen hinaus. Sie berühren die Frage, ob die EU ganz grundsätzlich noch rechtsstaatliche Prinzipien walten lässt oder systematisch missachtet. Bleibt es dabei, wäre das eine fürchterliche Niederlage nicht nur für asylsuchende Menschen und ihr Recht auf Schutz vor Krieg, Folter oder Verfolgung, sondern für uns alle, die wir ein anderes Europa wollen: ein Europa der Menschenrechte, der Freiheit und der Demokratie.“
[18.7.2023]
PDF | 764 kB
18.09.24
09.09.24
10.06.24
14.05.24
14.05.24
09.04.24