Bürgergeld - die Zweite -

17.07.2023

Erklärung des ver.di-Bundeserwerbslosenausschusses

Die aktuelle Ampel-Regierungskoalition ist u. a. mit dem Versprechen angetreten, Hartz IV zu überwinden und mit dem Bürgergeld ein neues System zu etablieren. Im zweiten Umsetzungsschritt der Bürgergeldeinführung treten zum 01. Juli 2023 die Änderungen zur Einkommensanrechnung und Unterstützung bei Maßnahmen zur Qualifizierung in Kraft.

Das Bürgergeld soll – neben der Kindergrundsicherung – ein weiterer Fortschritt in der sozialen Sicherung von Bürger*innen sein. Nach Aussage von Bundesminister Hubertus Heil soll das „Bürgergeldgesetz“ mehr Respekt, „mehr Augenhöhe“, mehr Chancen und Gleichberechtigung für die SGB-II–Leistungsbeziehenden in dem Zusammenwirken mit dem Jobcenter bringen.

Die zahlreichen Änderungen im Gesetz haben dies nur bedingt verwirklicht.

ver.di – allen voran der Bundeserwerbslosenausschuss – hat vornehmlich kritisiert, dass eine Anhebung der Regelsätze auf ein armutsfestes Niveau (in einem ersten Schritt werden zumindest 650 Euro erwartet), ebenso wenig realisiert wurde wie die vollständige Abschaffung von Sanktionen. Die weiterhin bestehende Sanktionspraxis verhindert aber eine Begegnung auf Augenhöhe. Die 100prozentige Leistungsminderung wegen fehlender Mitwirkung wurde im Bürgergeld – Gesetz gar nicht angepackt. 

Diese elementaren Kernpunkte der Kritik an „Hartz IV“ wurden aus der Sicht von ver.di und des Bundeserwerbslosenausschusses nicht korrigiert.

Es gibt allerdings auch positive Ansätze im neuen Gesetz. Dazu zählen für ver.di der Wegfall des Vermittlungsvorrangs, die Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes und die Förderung der Fortbildung.

Zum 1. Juli 2023 treten nunmehr insbesondere Änderungen bei den Zuverdienstregelungen und bei der finanziellen Unterstützung von Weiterbildungen ein.

Einige zentrale Änderungen zum 1. Juli sind:

Änderungen der Einkommensanrechnung

  • Die Freibeträge bei Erwerbstätigkeit werden für den Einkommensbereich 520 Euro (aktuelle Geringfügigkeitsgrenze) bis 1.000 Euro erhöht. Zukünftig bleiben von dem Einkommen in diesem Bereich 30 Prozent (statt bisher 20 Prozent) anrechnungsfrei. Damit verbleiben bis maximal 48 Euro mehr bei den erwerbstätigen Leistungsberechtigten.
  • Junge Menschen bis 25 Jahre können mehr von ihrem Einkommen behalten. Bei Einkommen aus Schüler- und Studierendenjobs gilt zukünftig ein monatlicher Freibetrag in Höhe der Geringfügigkeitsgrenze (derzeit: 520 Euro). Dieselbe Regelung gilt für junge Menschen, die einen Freiwilligendienst absolvieren sowie Auszubildende, Teilnehmer*innen an einer Einstiegsqualifizierung oder einer berufsvorbereitenden Maßnahme.
  • Einkommen von Schüler*innen aus einem Ferienjob bleiben zukünftig komplett anrechnungsfrei (bislang maximal 2.400 Euro/Kalenderjahr).
  • Mutterschaftsgeld und Erbschaften werden nicht mehr als Einkommen angerechnet. Erbschaften gelten im Folgemonat als Vermögen. Kleinere Erbschaften bleiben somit anrechnungsfrei, sofern die Vermögensfreibeträge nicht überschritten werden.

Unterstützung von Qualifizierung

  • Finanzielle Förderung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen wird eingeführt: bei abschlussbezogenen Weiterbildungen in Höhe von 150 Euro/Monat und bei nicht-abschlussbezogenen Weiterbildungen mit einer Dauer von mindestens acht Wochen in Höhe von 75 Euro/Monat. Die Förderung von Grundkompetenzen kann auch losgelöst von berufsabschlussbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen erfolgen, um die Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern.
  • Die bereits bestehende Weiterbildungsprämie für Zwischen- und Abschlussprüfungen wird entfristet.
  • Das Nachholen eines Berufsabschlusses kann künftig auch unverkürzt in drei Jahren erfolgen.
  • Der Abschluss einer beruflichen Weiterbildung führt zu einem dreimonatigen Arbeitslosengeld-Anspruch.
  • Als neues Förderinstrument wird die ganzheitliche Betreuung/Coaching (§ 16k SGB II) im Bürgergeld normiert.

Der neu konzipierte Kooperationsplan ersetzt ab dem 1. Juli 2023 die alte Eingliederungsvereinbarung. Der Kooperationsplan soll flexibler auf die Wünsche der Leistungsberechtigten eingehen und gemeinsam entwickelte Wege zu einer gelingenden Integration verankern. Durch den Verzicht auf Rechtsfolgenbelehrungen soll ein vertrauensvollerer Umgang ermöglicht werden. Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen sind damit zunächst nicht mehr möglich. Bei Meinungsverschiedenheiten kann ein Schlichtungsverfahren in Gang gesetzt werden. Bei aus Sicht der Jobcenter unzureichender Mitwirkung können auch Rechtsfolgenbelehrungen mit der Androhung von Leistungsminderungen eingesetzt werden.

Auch die neuen Regeln zur Erreichbarkeit von Leistungsberechtigten (§ 7 b SGB II) treten zum 1. Juli 2023 in Kraft. Zur Konkretisierung der Erreichbarkeitsanforderungen liegt ein Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vor, der ebenfalls zum 1. Juli in Kraft treten soll.

Zu kritisieren ist an den Bestimmungen u. a., dass ein Verfahren oder eine Verpflichtung für eine zeitnahe Zustimmung der Jobcenter für Abwesenheiten fehlt. Sofern eine Zustimmung der Jobcenter erst wenige Tage vor der gewünschten Abwesenheit erteilt wird besteht keine Planungssicherheit. Zumeist entstehen bei kurzfristiger Planung zudem höhere Kosten – das ist für Menschen mit geringem Einkommen ein Problem.

Insgesamt stellen die zum 1. Juli 2023 in Kraft tretenden Änderungen für die einschlägig betroffenen Leistungsberechtigten durchaus nennenswerte Verbesserungen dar. Dies gilt insbesondere für die geänderte Einkommensanrechnung bei jungen Menschen. Auch die verbesserte finanzielle Unterstützung für Teilnehmende an Weiterbildungsmaßnahmen ist zu begrüßen. Das Instrumentarium der Jobcenter für die Förderung von Leistungsbeziehenden ist damit ausgeweitet worden.

Die Reform leidet aber erkennbar darunter, dass es an einer entsprechenden Finanzausstattung der Arbeitsförderung der Jobcenter mangelt. Neue Instrumente nützen wenig, wenn das Geld fehlt, um sie einzusetzen.  

Wichtig ist es für ver.di und den Bundeserwerbslosenausschuss zudem, dass ausreichend Personal zur Verfügung steht und dieses auch genügend Zeit hat, damit der Wechsel von Sanktionen und Druck durch Eingliederungsvereinbarungen hin zu Motivation und Vertrauen auch gelingen kann. In Kombination mit geplanten Etatkürzungen warnen die Personalräte der Jobcenter zu Recht vor einer Überlastung der Beschäftigten mangels Personal.

ver.di fordert daher die Bundesregierung auf, den begonnenen Weg der Überwindung des Hartz IV Systems konsequent weiter zu verfolgen und die dafür notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen bereitzustellen.

[10.7.2023]