Tag der Selbstverwaltung 2022

14.06.2022

Alle Jahre wieder lädt ver.di zum "Tag der Selbstverwaltung" ein. Dieses Jahr fand er am 6. Mai 2022 statt. Thema der Veranstaltung, die Live gestreamt wurde und sich an alle Selbstverwalter*innen aus allen Sozialversicherungsträgern richtete, waren die Sozialversicherungswahlen 2023. Mit mehr als 50 Millionen Wahlberechtigten ist sie die drittgrößte Wahl in Deutschlands. Gewählt werden ehrenamtliche Selbstverwalter*innen, die bei der Rentenversicherung, bei den Krankenkassen als auch bei den Unfallkassen und Berufsgenossenschaften die Interessen der Versicherten vertreten. Die Sozialversicherungen verwalten sich selbst. Die oft unbekannte und unterschätzte Arbeit ist ein gutes Beispiel für Sozialpartnerschaft und gelebte Demokratie abseits parteipolitischen Engagements. 

Eine sehr wichtige Wahl also, die von vielen Bürger*innen allerdings weiterhin nicht als solche wahrgenommen wird. Deswegen liegt auch für ver.di ein Schwerpunkt auf der Öffentlichkeitsarbeit vor den Wahlen, betonte Dagmar König in ihren Begrüßungsworten. Sie ist Mitglied im ver.di-Bundesvorstand und für die Sozialwahlen zuständig. Auch die größere Reichweite durch die Online-Veranstaltung sei eine Möglichkeit einen größeren Kreis Interessierter anzusprechen. Über zweihundert Anmeldungen und viele spontan hinzugeschaltete Zuschauende bestätigten diese Annahme! 

 

Vorbereitungen zur Sozialversicherungswahl 2023 laufen auf Hochtouren 

Den Selbstverwalter*innen, die sich bei den Sozialversicherungswahlen zur Wahl stellen, steht die Bedeutung der Wahl der „Versichertenparlamente“ aus ihrer praktischen Arbeit klar vor Augen. Da es bei den nächsten Wahlen allerdings einige Neuerungen zu beachten gilt, „wollen wir auch euch rechtzeitig vorab darüber informieren und haben dafür kompetente Gesprächspartner*innen gewinnen können“, sagte Dagmar König. In ihren einführenden Worten gab sie Einblicke in die schon auf Hochtouren laufenden Vorbereitungen der Wahlen. Derzeit werden die Kandidat*innenlisten zusammengestellt. ver.di ist seit Jahren bemüht, mit den zur Wahl gestellten Kandidat*innen die Gesellschaft in ihrer Vielfältigkeit abzubilden. Das ist immer noch „eine große Herausforderung, denn bislang gab es ein deutliches Übergewicht von lebenserfahrenen Männern“. Frauen, Jüngere und Menschen mit Migrationsgeschichte sind bislang unterrepräsentiert. König verwies auf die ver.di-Veranstaltungen, die sich zum Beispiel konkret an mögliche weibliche Selbstverwalter*innen gerichtet haben und Hemmnisse bezüglich der wichtigen ehrenamtlichen Arbeit abbauen sollten. 

„Um das zu ändern, also bis wir die Zusammenstellung der Kandidat*innen in einer ausgeglichenen Form haben, liegt noch ein langer Weg vor uns. Für ver.di ist es etwas leichter, weil die Mehrheit der Mitglieder Frauen sind, aber selbst bei uns sind sie weiterhin in vielen Selbstverwaltungsgremien unterrepräsentiert", so Dagmar König.

Neben dieser schwierigen Herausforderung hob König hervor, dass für ver.di die Vernetzung der Selbstverwalter*innen untereinander von besonderer Bedeutung ist. Die gemeinsamen Interessen zukünftig auch trägerübergreifend zu vertreten, sei ein wichtiges Anliegen jedes Tags der Selbstverwaltung – ob analog oder online. „Denn eins ist klar: Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen die Menschen, die Versicherten.“ 

 

Bedeutung der Sozialen Selbstverwaltung für ver.di 

Dem konnte sich auch der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke anschließen, der erläuterte, welchen Mehrwert die Soziale Selbstverwaltung für ver.di hat und warum wir uns hier mit so vielen Haupt- und Ehrenamtlichen engagieren. Werneke betonte, dass die die konkrete Arbeit in der Sozialen Selbstverwaltung ein wichtiges demokratisches Element und Korrektiv darstelle, das man gar nicht hoch genug einschätzen könne. Die Sozialwahlen haben für ver.di einen „absolut hohen Stellenwert“. Er bedankte sich ausdrücklich bei den Selbstverwalter*innen als gewählte Vertreter*innen der Versicherten, deren Relevanz gerade in Krisenzeiten noch mal sichtbarer werde.

Er betonte besonders den Einsatz der Selbstverwalter*innen für die gerechte Aushandlung der Refinanzierung der entstandenen Mehrkosten für Gesundheitsleistungen. Dass pandemiebedingte Mehrausgaben gerade in Zeiten, in denen die Menschen mit hohen Energie- und Lebensmittelpreisen zu kämpfen haben, nicht allein von Krankenkassen, sondern steuerfinanziert und somit nicht nur von gesetzlich Versicherten geleistet werden müssen, sei eine wichtige ver.di-Forderung. Werneke bedankte sich für das Engagement der Selbstverwalter*innen, die sich gegen die Erhöhung der Beiträge in den Krankkassen stellen.

Er bekräftigte, dass eine hohe Wahlbeteiligung und gute Wahlergebnisse bei den Sozialwahlen für ver.di sehr wichtig seien: „Die Selbstverwalter*innen sind das Gesicht von ver.di und ein gutes Wahlergebnis nutzt dem Wohle aller Versicherten.“ Damit den Versicherten, die Wahl erleichtert wird, hat ver.di ein Wahlprogramm auf den Weg gebracht, in dem noch mal zusammengefasst wird, für welche sozialpolitischen Themen ver.di steht.

Neuer Bundeswahlbeauftragter für die Sozialversicherungswahlen 

Axel Schmidt, der für die Sozialwahlen zuständige Gewerkschaftssekretär in der Bundesverwaltung, begrüßte nach einer kleinen Pause den neuen Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen Peter Weiß. Ihm obliegt es jetzt, die mit dem Sozialversicherungsmodernisierungsgesetz verabschiedeten konkreten Neuerungen bei den Sozialwahlen 2023 umzusetzen. ver.di begrüßt die Modernisierung, sieht aber auch noch Defizite bei der konkreten Gestaltung von Freistellungs- und Fortbildungsregelungen und wünscht sich vom neuen Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen und seiner Stellvertreterin Nachbesserungen. 

Peter Weiß bedankte sich zunächst für das Engagement und Fachkompetenz, der Selbstverwalter*innen: „Auch wenn das in der Öffentlichkeit oft nicht ausreichend gewürdigt wird, ist eure Arbeit eine wichtige gesellschaftliche Tätigkeit. Unsere Sozialversicherungen sind deshalb so gut, weil sie eine funktionierende engagierte und kompetente Selbstverwaltung haben“, sagte Peter Weiß. 

In seinem kurzen Vortrag „Sozialversicherungswahlen 2023 – Was ist neu?“ fasste er die mit dem Sozialversicherungsmodernisierungsgesetz verabschiedeten konkreten Neuerungen bei den Sozialwahlen 2023 zusammen. Wegen des auffälligen Mangels weiblicher Interessenvertreterinnen wurde bei der Reform der Sozialwahlen eine Geschlechterquote eingeführt. In den Selbstverwaltungsgremien von Renten- und Unfallversicherungsträgern sollen zukünftig möglichst mindestens 40 Prozent Frauen vertreten sein. Für die Krankenkassen gilt diese Vorgabe bereits verbindlich. Peter Weiß appellierte aber auch an die Renten- und Unfallversicherungen, das Soll als Muss zu lesen, „damit wir endlich gewählte Gremien haben, in denen zumindest einigermaßen eine Repräsentanz der Geschlechter gegeben ist.“ Peter Weiß betonte auch, dass im Gesetz die Quotenregelung auch für die Nachrückregelungen Bestand hat: Scheidet eine Frau aus, soll auch eine Frau nachrücken. 

Mehr Öffentlichkeit und Bewusstsein schaffen 

Auch die Aufgaben des Bundeswahlbeauftragten wurden laut Gesetz erweitert. Er solle regelmäßig über den Zweck der Sozialversicherungswahlen informieren. Peter Weiß betonte, dass ihm diese Neuerung besonders am Herzen liege und er sich über Tipps, Hinweise und Vorschläge von Selbstverwalter*innen freue, um die Selbstverwaltung zu stärken und ein größeres Bewusstsein für die Bedeutung der Sozialwahlen und die Soziale Selbstverwaltung zu etablieren. 

„Uns allen gehören die Sozialversicherungsträger, wir zahlen dort ein. Das findet Ausdruck darin, dass wir Selbstverwaltungsorgane und engagierte Selbstverwalter*innen haben. Die Selbstverwaltung ist wichtig und konstitutiv für unsere Sozialversicherungsträger. Damit diese Bedeutung allen Versicherten klar wird, möchte ich mit euch zusammen, die Öffentlichkeitsarbeit stärker ausgestalten und freue mich auf eure Anregungen“, so der Bundeswahlbeauftragte.

Weitere Veränderungen betreffen eine stärkere Transparenz der Listenaufstellungen bei der Kandidat*innenauswahl sowie die Namensgebungen der Listen und mögliche Listenverbindungen.  Es ist bei dieser Wahl einfacher, eine Liste einzureichen. Die Anforderungen wurden gesenkt, indem die Anzahl der Unterstützungsunterschriften halbiert wurde.

2023 kann bei den Ersatzkassen erstmalig auch online gewählt werden

Die ungewöhnlichste Veränderung gibt es aber bei der Art der Stimmabgabe. War sie bisher ausschließlich per Briefwahl möglich, wird es 2023 erstmalig und nur im Krankenkassenbereich zusätzlich auch die digitale Stimmabgabe möglich sein. Der Bundeswahlbeauftragte berichtete von den Vorbereitungen und den sehr hohen Anforderungen. Die Wahl habe Modellcharakter und sei ein Modernisierungstreiber auch für andere Wahlen. Das hohe Interesse an diesem Modellversuch könne auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Sozialwahlen genutzt werden und er sei zuversichtlich, dass die Onlinewahlen erfolgreich durchgeführt werden könnten. 

Wer sich daran beteiligt, was es dabei zu beachten gilt und wie weit die Vorbereitungen dazu gediehen sind, darüber berichtete im Anschluss Jörg Ide von der Techniker Krankenkasse.  Er hat sich seit Ende der 90er-Jahre für eine Onlinewahl in der Gesetzlichen Krankenkasse stark gemacht und leitet jetzt gemeinsam mit Holger Schlicht von der DAK Gesundheit die extra dafür gegründete Arbeitsgemeinschaft. Diese organisiert die Zusammenarbeit von insgesamt 15 Krankenkassen, die sich an dem Modellversuch zur Onlinewahl beteiligen. In einem „Helikopterflug“ über den allgemeinen Stand der Dinge erfuhren die Selbstverwalter*innen welche Ausschüsse für die unterschiedlichen Teilprojekte zuständig sind, welche Unternehmen die europaweite Ausschreibung zur technischen Umsetzung der Wahlen für sich entscheiden konnten und welche Testverfahren vor einer tatsächlichen Umsetzung angewendet werden. Alles, um höchstmögliche Sicherheit und Transparenz dieses neuen Wahlverfahrens zu garantieren. Das betrifft auch die Überlegungen zum tatsächlichen Wahlverfahren. Die Versicherten der beteiligten Krankenkassen bekommen mit den Briefwahlunterlagen auch eine Anleitung zum Onlinewahlverfahren, das mit einer mehrstelligen Nummern-Authentifizierung gegen Wahlbetrug abgesichert wurde. 

Jörg Ide betonte, dass das Modellverfahren neues Interesse an den Sozialwahlen und der Sozialen Selbstverwaltung wecken könne und obendrein als Testlauf für weitere Onlineabstimmungen in Deutschland diene. Er machte aber keinen Hehl daraus, dass diese Umstellung anfangs mit hohen Kosten verbunden ist. Verabredet war eine Umlegung der Kosten für das Modellverfahren auf alle Krankenkassen, dazu benötige es jetzt noch eine Gesetzesanpassung, weil manche Krankenkassen in der Vorbereitung viel mehr Ausgaben hätten als andere. Nicht nur dafür brauche er den „Rückenwind“ des Bundeswahlbeauftragten und der Selbstverwalter*innen. Das Gelingen der Onlinewahlen sei nicht nur eine technische Frage, dahinter stünde auch die Reputation für das Prinzip der Sozialwahlen insgesamt. 

Podiumsdiskussion mit designierten Spitzenkandidat*innen 

Nach den spannenden Ausführungen kamen in einer Podiumsdiskussion die designierten Spitzenkandidat*innen aus der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung zu Wort. Moderiert von Axel Schmidt (ver.di-Referent Soziale Selbstverwaltung/Sozialwahlen) sprachen Angelika Kappe (Verwaltungsrat AOK Hessen), Gabriele Platscher (Vorstandsvorsitzende bei der Berufsgenossenschaft VBG), Marion von Wartenberg (Verwaltungsrat DAK Gesundheit), Dagmar König (Verwaltungsrat Deutsche Rentenversicherung Bund) und Robert Spiller, der für den Verwaltungsrat der BARMER kandidiert, von ihren Plänen für die nächste Legislatur. Sie betonten, dass die Sozialversicherungsträger neben ihren gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben eine Beratungs- und Aufklärungspflicht gegenüber den Versicherten haben. Und berichteten anhand konkreter und sehr interessanter Beispiele, wie sie alle über wesentliche Dinge mitentscheiden können, die über den gesetzlichen Leistungskatalog hinausgehen. Einig waren sich alle Mitdiskutierenden, dass die Frauenquote ein guter wichtiger Schritt zu mehr Gleichberechtigung ist; Angriffe und Eingriffe gegenüber der Sozialen Selbstverwaltung auch weiterhin gemeinsam abgewehrt werden sollten; und die Soziale Selbstverwaltung fit für die Zukunft gemacht werden müsse. 

Dagmar König bedankte sich in einem die Veranstaltung zum Abschluss bringenden Schlusswort bei allen Beteiligten für die abwechslungsreiche Veranstaltung. Die jährliche Teilnahme des ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke unterstreiche die hohe Wertschätzung für die Soziale Selbstverwaltung bei ver.di. „Sie ist eine der vielen Möglichkeiten, unsere gesellschaftspolitischen Vorstellungen so umzusetzen, dass sie in der Praxis sichtbar werden und dafür bedanken wir uns bei allen Ehrenamtlichen.“

[14.6.2022]

 

 

Videomitschnitt:
Dagmar König (ver.di-Bundesvorstand), Frank Werneke (ver.di Vorsitzender), Peter Weiß (Bundesbeauftragter für die Sozialversicherungswahlen)

 

 

 

Videomitschnitt:
Jörg Ide (Techniker Krankenkasse) zum Thema Online-Wahlen

 

 

 

Videomitschnitt:
Podiumsdiskussion mit designierten Spitzenkandidat*innen