18.09.24
"Macht. Beteiligung." Unter diesem Motto kamen vom 22. bis 24. November rund 300 ver.di-Aktive in Hannover zusammen (ver.di Aktivenkonferenz 2024 (verdi.de)). Es waren drei Tage voller Inspiration, Austausch und konkreter Pläne: In über 50 Workshops tauschten die Teilnehmenden ihre Erfahrungen aus: Wie gewinnen wir betriebliche Auseinandersetzungen im Betrieb? Wie machen wir Tarifrunden erfolgreich?
Gewerkschafter*innen aus Logistik, Handel und Medien berichteten, wie sie in migrantisch geprägten Betrieben gewerkschaftliche Stärke aufbauen – trotz oft prekärer Arbeitsbedingungen, Outsourcing und Leiharbeit.
Ibo S. von Kaufland Logistik erzählte von einem Wendepunkt in seinem Betrieb: Während der Corona-Pandemie mussten sie noch regelmäßig Überstunden machen. Nach der Pandemie gingen sie für mehr Respekt auf die Straße. Als dann die Nachtschicht gestrichen werden sollte, war das Maß voll. "Von den Zuschlägen leben wir“, sagte Ibo S. auf der Konferenz. Mit Hilfe von Brückenbauer*innen aus den Communities konnte die Belegschaft organisiert werden. "Wer in den Communities das Vertrauen genießt, merkt man schnell im Lager“, sagte Ibo. Nach zwölf Jahren wählten sie erstmals einen Betriebsrat und streikten. Die Erfolge: Die Nachtschicht-Zuschläge sind geblieben, Überstunden werden nur noch mit dem Betriebsrat abgestimmt und der Umgangston der Arbeitgeber hat sich verbessert.
Irina L. von der Deutschen Welle berichtete, wie sie in den Sprachredaktionen Schlüsselpersonen angesprochen und Vertrauen aufgebaut hat, um ihre Kolleg*innen zu gewinnen. Das Ergebnis: Ein Vertrauensleutekörper, der die Vielfalt der Belegschaft widerspiegelt und die Kolleginnen in ihrer Muttersprache erreicht. „Sprachbarrieren können Türen zum Erfolg öffnen!“, sagte sie.
Die neuen Vertrauensleute sind so etwas wie eine Brücke zwischen den Sprachredaktionenen und den Beschäftigten. Sie sorgen dafür, dass alle gewerkschaftlich eingebunden werden. Durch gemeinsame Schulungen wurden sie fit gemacht, um auch alle Kolleg*innen wirklich „mitzunehmen“. Ein wichtiger Schritt ist, dass Übersetzungen der wichtigsten gewerkschaftlichen Materialien jetzt direkt im Betrieb organisiert werden. So fallen Sprachbarrieren, die oft durch alte Gewohnheiten entstanden sind. Ähnlich funktioniert es auch bei Kaufland Logistik. Einer der „Konnektoren“, wie Ibo sie nennt, „sammelt“ die Kolleg*innen seiner Community in einer Facebook-Gruppe und übersetzt die Informationen direkt in ihre Muttersprache – so können sie informiert und eingebunden werden.
Auf dem Auftaktpodium erzählte Irina dann auch vom Streik bei der Deutschen Welle, der erst wenige Tage zurücklag: „Das war ein besonderer Moment“, sagte sie, „als die gesamte Deutsche Welle ausfiel und kein aktuelles Programm gesendet wurde.“ Der Streik habe gezeigt, dass die Strategie der Vertrauensleute und der Ansprache funktioniert habe.
Ein weiterer spannender Praxisbericht kam aus der Logistik. Hedi und Olaf, die bei einem Amazon Fullfilment Center in der Nähe von Hamburg arbeiten, erzählten wie Kolleg*innen, die zuvor noch nie von Gewerkschaften gehört hatten, plötzlich begeistert mitmachten. Gemeinsam organisierten sie einen Streik, der ihnen eine beeindruckende Lohnsteigerung von 7 Prozent mehr Lohn einbrachte. „Das war ein Wendepunkt,“ berichtete Hedi, „Viele haben zum ersten Mal erlebt, was wir gemeinsam erreichen können. Das bleibt hängen.“ Trotz dieses Erfolges bleibt das übergeordnete Ziel, die Tarifbindung des multinationalen Konzerns zu erkämpfen, eine zentrale Herausforderung, die noch nicht erreicht ist.
Die gewerkschaftliche Organisierung ist vor Ort mit besonderen Risiken verbunden. Insbesondere für eingewanderte Beschäftigte, deren Aufenthaltsstatus vom Arbeitsvertrag abhängen kann, ist ein großer Schritt sichtbar gewerkschaftlich sichtbar in Erscheinung zu treten. Hinzu kommen Repressionsversuche und Überwachung durch den Arbeitgeber, die eine Organisierung immer wieder herausfordern. Daher ist es entscheidend, Kolleg*innen zu Vertrauensleuten zu machen, die in ihren Communities Vertrauen genießen. Hedis Telefon klingelt daher oft, wenn Beschäftigte Fragen haben. „Mein Hobby ist es, Menschen zu helfen und zu streiken“, sagt er dazu im Workshop gelassen.
Die Geschichten von der Deutschen Welle und von Amazon zeigen, wie gezielte Ansprache und das Einbinden von Kolleg*innen helfen, Ängste zu überwinden und Solidarität zu stärken – und dass dieser Prozess einen langfristigen Atem braucht.
Auch im Alltag bleibt eines entscheidend: der persönliche Kontakt. Irina erzählte, wie sie Kolleg*innen bei ihren alltäglichen Themen abholt. „Früher habe ich eine halbe Stunde über Katzen gequatscht. Heute frage ich sie nach ihren Problemen bei der Arbeit – und wie wir sie gemeinsam lösen können.“
Die Botschaft ist klar: Gewerkschaft wird erlebbar, wenn Kolleg*innen spüren, dass sie mit vereinten Kräften den betrieblichen Alltag verändern können. Über die Werkzeuge, die es hierfür benötigt, tauschten sich die Kolleg*innen in Hannover aus.
Neben den Tarifauseinandersetzungen setzen sich die Aktiven auch für alltägliche Anliegen und Belange ein. Die Arbeitsbedingungen vieler migrantischer Beschäftigter sind neben unsicheren Arbeitsverhältnissen und oft niedrigen Löhnen von aufenthaltsrechtlichen Hürden, Sprachbarrieren und der Nichtanerkennung von Abschlüssen geprägt. Gemeinsam mit der Betriebsgruppe und dem Personalrat wird bei der Deutschen Welle Druck auf die Geschäftsführung ausgeübt, um Lösungen zu finden. So konnten aufenthaltsrechtliche Probleme von Kolleg*innen gelöst werden.
Dabei bleibt eines entscheidend: Den strukturellen Rassismus in der Arbeitswelt zu bekämpfen und sich als Organisation auch den subtilen Formen von Rassismus zu stellen, die die Solidarität gefährden. Hedi berichtet: „Es braucht Verständnis und Sensibilität – sowohl von den Aktiven als auch von den Hauptamtlichen, damit das Vertrauen nicht wieder verloren geht“.
Fazit: Gemeinsam gewinnen
Die Aktivenkonferenz hat gezeigt: Gewerkschaftliche Kämpfe können dann erfolgreich sein, wenn sie alle Kolleg*innen und ihre Themen einbeziehen – unabhängig von Herkunft oder Sprache. Die Erfahrungen von Ibo, Hedi und Irina zeigen, wie eine gezielte Ansprache und eine strukturierte Einbindung der Kolleg*innen auch unter herausfordernden Bedingungen gelingen kann.
David Amacher
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