Rückblick und Ausblick
Auch das Jahr 2021 war ganz von Corona geprägt – das hatten wir alle uns zu Jahresbeginn anders erhofft. Aber die Pandemie erwies sich als langlebig und möglicherweise müssen wir uns an eine neue Form der Normalität gewöhnen. Das hatte aber auch zur Folge, dass vieles, was bereits in 2020 als kurzfristige Reaktionen auf Corona gedacht war, nun verstetigt und mitunter neu gedacht werden musste. Nicht alles, was kurzfristig sinnvoll ist, hat auf lange Sicht Bestand.
Manchmal zeigen sich die Tücken auch erst im Langzeiteinsatzgebrauch.
Neben allen gesundheitlichen und medizinischen Vorkehrungen wie Impfungen und Testungen sowie Hygiene und Abstandsregeln (AHAL) stand dabei vor allem die Sicherung von Arbeitsplätzen im Fokus. Dies galt gleichermaßen für Überbrückungshilfen für Beschäftigte in Kurzarbeit wie auch für Unternehmen, die zeitweilig schließen oder Einschränkungen im Geschäftsbetrieb hinnehmen mussten. Für viele Beschäftigte war das Kurzarbeitergeld existenziell zum Überleben in der Krise, dabei half auch die Aufstockung bei längerer Kurzarbeit bzw. Kinderzuschlag . Nicht durchsetzbar – trotz nachdrücklichen Engagements von ver.di und der NGG – war ein Mindestkurzarbeitergeld, das vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen (und damit besonders Frauen) geholfen hätte.
Kurzarbeitergeld
Wichtig war das Kurzarbeitergeld aber auch für die sozialen Sicherungssysteme wie Krankenkassen und gesetzliche Rentenversicherung, die so auch in der Krise verlässliche, wenn auch niedrigere Einnahmen zu verzeichnen hatten. Die Arbeitslosenversicherung musste dafür aber nicht nur alle Reserven einsetzen, sondern erhielt auch erhebliche Zuschüsse des Bundes für diese Zahlungen. Das Management all der staatlichen Maßnahmen stellte die öffentlichen Verwaltungen vor erhebliche Probleme – in der Arbeitsverwaltung, den Gesundheitsämtern und den Stellen, die für die Wirtschaftsförderung zuständig waren.
Ganz besonders aber war das Gesundheitswesen betroffen. In Krankenhäusern, Pflegeheimen und Senioreneinrichtungen wurden der lange kritisierte Pflegenotstand und die Folgen der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens überdeutlich. Die immensen Kosten für die notwendigen Leistungen führten bei den Krankenkassen zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Ebenso zeigten sich die negativen Auswirkungen der Globalisierung mit Lieferengpässen von unterschiedlichsten Waren und die Abhängigkeiten bei fehlenden Eigenproduktionen. Dies führte in vielen Bereichen zu erheblichen Preissteigerungen, die insbesondere für die einkommensschwächeren Menschen kaum tragbar waren. Alle Bemühungen, hier auch für Transferleistungsempfangende dauerhaft angemessene finanzielle Ausgleiche zu schaffen, scheiterten. Es blieb lediglich bei unzureichenden Einmalzahlungen.
Homeoffice und mobiles Arbeiten
Neben diesen grundsätzlichen Problemen tauchten vor allem ganz praktische im Arbeitsalltag auf.
Hier machte sich der in der Vergangenheit häufig unzulängliche Umgang mit dem betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz bemerkbar. Jetzt musste schnell und effizient gehandelt werden. Dort, wo es möglich war, wurden Homeoffice und mobiles Arbeiten verstetigt. Dabei zeigte sich aber, dass nun auch dringend Standards im Arbeits- und Gesundheitsschutz für diese Arbeitsformen entwickelt werden musste – für die ursprünglich nur kurz gedachte Übergangslösung war das nicht für nötig gehalten worden. Bisher zwar schon bekannte Arbeitsformen wie Coworking-Spaces (Anmietung eines zumeist wohnortnahen Arbeitsplatzes in einem Gemeinschaftsgebäude) und Desksharing (es existieren weniger Arbeitsplätze als Beschäftigte, wer ins Unternehmen kommt, sucht sich täglich neu einen freien Arbeitsplatz.) werden vermehrt eingesetzt. Auch dafür müssen Regelungen des Arbeits-und Gesundheitsschutzes entwickelt und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Mindestens ebenso wichtig ist eine gute Absicherung für alle diejenigen, die in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten an Corona erkrankten – noch immer kämpfen wir um die Anerkennung als Berufskrankheit nicht nur für medizinische und pflegerische Berufe. Erstmals wurde auch deutlich, dass es selbst bei leichteren Krankheitsverläufen zu schwerwiegenden Langzeitfolgen (Post Covid und Long Covid) kommen kann, die erkannt und behandelt werden müssen – die Erkenntnisse darüber sind noch begrenzt und deren Umsetzung ausbaufähig. Dafür müssen Rehabilitationsangebote entwickelt und Rehabilitationseinrichtungen vorgehalten werden.
Einsatz für besonders Schutzbedürftige
Immer wieder haben wir auch diejenigen in den Fokus gerückt, die in der Pandemie häufig übersehen wurden: die besonderen Bedürfnisse von schwerbehinderten Menschen, die (vor allem finanziell) erschwerte Situation Erwerbsloser, die besondere Betroffenheit von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen (insbesondere Frauen und Migrant*innen). Häufig hatten diese keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld (Minijobs) oder das Geld reichte dennoch nicht zur Existenzsicherung.
Bei all diesen Themen war das Engagement von ver.di gefragt und bei nahezu allen auch das Ressort 5 beteiligt. Sei es durch die Vertretung des Ressorts im Verwaltungsrat der BA, wenn es um die Leistungsgewährung ging, sei es durch die Mitarbeit in zahlreichen staatlichen Gremien des Arbeits-und Gesundheitsschutzes, wenn es um die Anpassung von Regelungswerken ging oder auch über unsere Selbstverwalter*innen, die sich in den Berufsgenossenschaften für die Anerkennung der Berufskrankheiten, bei den Krankenkassen für Gesundheitsleistungen oder bei der Rentenversicherung z. B. für die Reha-Kliniken einsetzten. Wir haben an etlichen Stellen mit unseren Vorstellungen zugunsten von Beschäftigten und Versicherten Erfolge verbuchen können. Darüber hinaus haben wir zahlreiche digitale Informationsveranstaltungen angeboten und unsere Mitglieder damit auch vor Ort in ihrer Handlungsfähigkeit unterstützt.
Reformen in der Sozialen Selbstverwaltung
Für die Soziale Selbstverwaltung war 2021 ein Jahr der Veränderungen. Die scheidenden Bundessozialwahlbeauftragten Rita Pawelski und Klaus Wiesehügel hatten mit dem Modernisierungsgesetz zu den Sozialwahlen etliche dann vom Bundestag beschlossene Neuerungen auf den Weg gebracht. Manches davon entsprach langjährigen Forderungen der Gewerkschaften. Aus Sicht von ver.di besonders positiv: die Einführung von verbindlichen Frauenquoten in der sozialen Selbstverwaltung – für ver.di längst selbstverständlich, insgesamt aber noch keineswegs.
Ebenso gibt es nun gesetzlich verbriefte Freistellungsansprüche für Selbstverwalter*innen zur Ausübung ihres Ehrenamtes und für die notwendigen Fortbildungen. Neu und zukunftsweisend ist die Online-Wahlmöglichkeit im Bereich der Krankenkassen. Im Oktober 2021 endete die Amtszeit der vorgenannten und neue Bundeswahlbeauftragte für die Sozialwahlen wurden Peter Weiss und Daniela Kolbe.
Ein weiterer Schwerpunkt des vergangenen Jahres war die Begleitung des Wahljahres durch eigene Anforderungspapiere, wahlkampfbegleitende Veranstaltungsformate (ver.di wählt, Frauenalterssicherungskonferenz), Synopsen und Bewertungen der Wahlaussagen der im Bundestag vertretenen Parteien sowie Analyse und Erstbewertung des Koalitionsvertrages. Auch hier war das Ressort mit allen Bereichen beteiligt. Wir haben umfassend die Themen und Anforderungen der verschiedenen Arbeitsbereiche dargelegt und wo möglich eingebracht. Einiges davon findet sich sowohl in den Wahlprogrammen verschiedener Parteien als auch im Koalitionsvertrag wieder.
Wie gelebte Solidarität aussieht haben Gewerkschafter*innen anlässlich der Flutkatastrophe im Ahrtal und anderswo bewiesen. Da gab es ganz praktische Hilfe vor Ort, Sachspendensammlungen aber auch finanzielle Hilfe für betroffene Mitglieder sowohl durch die Einzelgewerkschaften als auch durch den gewerkschaftlichen Hilfsfonds. Viele von uns haben sich dabei sicher an das schöne Ahrtal erinnert, wo in Bad Neuenahr bei den letzten Organisationswahlen zahlreiche Konferenzen stattfanden.
Zahlreiche Themen aus 2021 werden uns auch noch in 2022 begleiten.
Corona bleibt, wenn auch in gewandelter Form. Daher wird es weiter darauf ankommen, einerseits den Schutz der Bevölkerung und die Einsatzfähigkeit der kritischen Infrastruktur zu sichern, andererseits die Wirtschaft und damit die Arbeitsplätze gut durch die Pandemie zu bringen. Wir werden weiter daran arbeiten müssen, pandemiebedingte Einkommensverluste abzufedern und mit entsprechenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig brauchen wir aber einen intensiveren Blick auf das Gesundheitssystem und die darin Beschäftigten, um mittel- und langfristig eine gute Gesundheitsversorgung gewährleisten zu können.
Grundsätzlich darf aber auch der anstehende Transformationsprozess der Wirtschaft, der bereits im Gange ist und von Corona nur überlagert und zum Teil auch beschleunigt wurde, nicht aus dem Blick geraten. Es gilt, die Veränderungen so zu gestalten, dass sich für die Beschäftigten nicht Risiken sondern neue Chancen eröffnen. Dazu wird u. a. die Rolle der BA hinsichtlich Weiterbildung und Qualifizierung neu zu definieren sein. Dies geht einher mit dem demographischen Wandel, dem schon jetzt erkennbaren Arbeitskräftebedarf, den sich daraus ergebenden Überlegungen zur Fachkräfteeinwanderung sowie der Erschließung vorhandener ungenutzer Arbeitskräftepotenziale wie z. B. Langzeiterwerbslose.
Ferner muss dem Ausbildungsmarkt mehr Gewicht beigemessen werden, damit Jugendliche eine Zukunft und Unternehmen engagierte Beschäftigte haben.
Weiterhin gearbeitet werden muss an den noch offenen Fragen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, insbesondere für die flexibleren Arbeitsformen sowie der besseren Absicherung von berufsbedingten Covid-Erkrankungen.
Auch das Thema Wahlen bleibt uns in mannigfacher Weise erhalten.
Da geht es zunächst um die Umsetzung der Koalitionsvereinbarungen bzw. deren tatsächliche Ausgestaltung. Aus Sicht von ver.di gibt es da an einigen Stellen Nachsteuerungsbedarfe, im Einzelnen ist das momentan noch nicht einschätzbar.
Aktuell befinden wir uns in den Vorbereitungen zu den Sozialwahlen, die zwar erst 2023 stattfinden werden, aber für die die Aufstellung der Kandidat*innen für die einzelnen Träger bis Anfang November 2022 abgeschlossen sein müssen. Dafür wurde Werbe- und Informationsmaterial erstellt und es werden bedarfsorientiert Informations- und Koordinationsveranstaltungen mit den Sozialwahlbeauftragten von ver.di durchgeführt. Neu zu erstellen sind ebenfalls Konzepte zur Social Media-Werbung für die Sozialwahlen. Geplant ist auch eine innergewerkschaftliche Werbekampagne im Rahmen der Organisationswahlen. Darüber hinaus gibt es auf DGB-Ebene zahlreiche Abstimmungsrunden.
Bundesweit finden im nächsten Jahr auch die Wahlen zu den Schwerbehindertenvertretungen statt.
Der Bundesarbeitskreis Behindertenpolitik hat hierfür gemeinsam mit dem Ressort eine Werbestrategie entwickelt, die auch zugleich zur Mitgliedergewinnung genutzt werden soll. Entsprechende Werbematerialien und Unterstützung werden zur Verfügung stehen.
Aber auch innerhalb von Gewerkschaften stehen Wahlen auf dem Plan. Im Mai 2022 findet der Ordentliche Bundeskongress des DGB (OBK) mit Neuwahlen statt, der Vorsitz ist neu zu besetzen. Im Vorfeld geht es neben den personellen Fragen vor allem um die inhaltlichen Anträge, hier ist die Ressortleiterin als ver.di Vertreterin in die Antragsberatungskommission eingebunden. Bei ver.di selbst beginnen die Vorwahlen in den Bezirken und Landesbezirken zu den Organisationswahlen, die im September 2023 mit Neuwahlen in Berlin stattfinden werden. Das Ressort ist hier über die Personengruppen der Migrant*innen und der Erwerbslosen beteiligt.
Im Bereich von Migration und Integration haben sich die Themenschwerpunkte nur geringfügig verschoben. Naturgemäß stand besonders die Arbeitssituation von Migrant*innen unter Pandemiebedingungen im Vordergrund, dies bleib auch weiterhin ein entscheidendes Thema.
Verstärkt werden dabei aber auch Erwerbsmigration und alle damit einhergehenden Fragen im Fokus stehen. Einbürgerungserleichterungen zur Stärkung der Integration sind genauso nötig wie eine praktikablere Handhabung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Ein ständiges Thema ist der zunehmend offener zutage tretende Rassismus in all seinen Ausprägungen und das dem entschiedene Entgegentreten aller gesellschaftlichen Kräfte. Dazu gehört ebenso das Engagement des zuständigen Gewerkschaftssekretärs als stellvertretender Vorsitzenden der „Gelben Hand“ sowie das der Ressortleiterin in den Projekten „Schulter an Schulter“ und dem Mentoringprogramm „Lead ME“ für Menschen mit Migrationshintergrund. Wichtig für den Bundesmigrationsausschuss – der in 2021 einen neuen Vorstand gewählt hat – ist auch die stärkere Repräsentanz vom Kolleg*innen mit Migrationsgeschichte in der Gewerkschaft selbst, dazu gibt es u.a. bei der Nachwuchskräftegewinnung gute strukturelle Ansätze.
Der Bundesarbeitskreis Behindertenpolitik (BAK) hat sich schwerpunktmäßig mit Themen beschäftigt, die auch in 2022 weiterhin bearbeitet werden. Dazu gehören neben der Barrierefreiheit in den verschiedensten Bereichen die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die Vorbereitung der SBV-Wahlen auf Bundesebene, die Rechte der Schwerbehindertenvertretungen im kirchlichen Arbeitsrecht und die Neugestaltung der Regelungen zur Erlangung des Grads der Behinderung.
Die Erwerbslosen haben sich pandemiebedingt verstärkt mit den finanziellen Auswirkungen des Anstiegs der Lebenshaltungskosten allgemein und der Energiekosten im Besonderen, der dringend notwendigen Neuberechnung der Regelsätze sowie der Umsetzung des Bundesgerichtsurteils zu den Sanktionen im ALG II beschäftigt. Außerdem waren das geplante Bürgergeld der Koalition und das veränderte Vorgehen in der Arbeitsvermittlung für Erwerbslose in der Diskussion.
[18.1.2022]