Neuer Pflegeversicherungsbeitrag ab 1.7.2023
Staffelung nach Anzahl und Alter der Kinder
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hatte mit Beschluss vom 7.4.2022 (Az.: 1 BvL 3/18 u.a.) das aktuell geltende Beitragsrecht in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) für grundrechtswidrig erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, bis 31.7.2023 eine Neuregelung zu treffen.
Im gegenwärtigen System der sozialen Pflegeversicherung werden Eltern mit mehr Kindern gegenüber solchen mit weniger Kindern benachteiligt, weil der mit steigender Kinderzahl anwachsende Erziehungsmehraufwand nicht berücksichtigt wird. Das BVerfG hatte bereits in früheren Entscheidungen betont, dass die kindererziehenden Versicherten die Funktionsfähigkeit der Pflegeversicherung nicht nur durch Beitragszahlung, sondern auch durch Betreuung und Erziehung von Kindern sichern.
Zugleich hat das BVerfG aber auch klargestellt, dass es keine Grundrechtsverletzung darstellt, wenn die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung unabhängig von der Anzahl der Kinder erhoben werden. Insoweit fehlt es an einer Benachteiligung der Eltern, weil der
wirtschaftliche Erziehungsaufwand im System der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung jeweils hinreichend kompensiert wird; z. B.
in der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Gewährung von Kindererziehungszeiten.
Der Gesetzentwurf für ein Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) vom 25.04.2023 (BT-Drucksache 20/6544) enthält nun einen Vorschlag zur Umsetzung dieses Beschlusses des BVerfG:
Zum 1.7.2023 soll der allgemeine Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung (SPV) um 0,35 Prozentpunkte auf dann 3,4 Prozent steigen. Dadurch sollen der SPV in 2023 Mehreinnahmen von 3,15 Mrd. Euro sowie ab 2024 pro Jahr 6,6 Mrd. Euro zufließen. Parallel steigt der Kinderlosenzuschlag von 0,35 Prozent auf 0,6 Prozent.
In Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder werden Abschläge auf den allgemeinen Beitragssatz gewährt.
Mitglieder mit einem Kind zahlen den allgemeinen Beitragssatz von 3,40 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen. Mitglieder mit zwei Kindern zahlen zukünftig einen Beitragssatz von 3,15 Prozent, was einem Abschlag in Höhe von 0,25 Prozentpunkten entspricht. Für Mitglieder mit drei Kindern wird ein Abschlag in Höhe von 0,50 Prozentpunkten, mit vier Kindern von 0,75 Prozentpunkten und für Mitglieder mit fünf oder mehr Kindern ein Abschlag von 1,0 Prozentpunkten gewährt. Diese tragen damit einen Betragssatz von 2,40 Prozent statt heute 3,05 Prozent. Die Abschlagsregelungen sollen dem Wortlaut des Entwurfs zufolge finanzneutral gestaltet werden. Jedoch steigen im Ergebnis die Beiträge für alle Mitglieder der SPV, die weniger als vier Kinder haben.
Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes, auf die auch das Bundesverfassungsgericht verweist (BVerfG 2022, a.a.O., Rn. 320), haben 50,7 Prozent der Familien mit minderjährigen Kindern ein Kind, 37,4 Prozent haben zwei Kinder, 9,2 Prozent haben drei Kinder, 2,1 Prozent haben vier Kinder und 0,6 Prozent haben fünf und mehr Kinder (Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 3, 2019, Tabellen 1.1, S. 35 f. und Tabelle 5.2, S. 125 ff.).
Dabei gilt ein weiter, eigenständiger Begriff der Elternschaft, der u.a. Fälle von Adoption, Stiefelternschaft, Pflegeelternschaft etc. berücksichtigt. Dementsprechend groß ist die Zahl der anzuerkennenden Belege, die über Geburtsurkunden, steuerliche Bescheinigungen, Adoptionsurkunden erfolgt.
Die Elterneigenschaft und damit auch der ggf. niedrigere Beitragssatz gilt nicht wie bisher ein Leben lang, sondern zukünftig nur in der Erziehungsphase bis zum Ablauf des Monats, in dem das Kind das 25. Lebensjahr vollendet hat. Danach wird unabhängig von der Zahl der Kinder nur noch unterschieden in „Mitglieder mit Kindern“ und „Mitglieder ohne Kinder“. Für „Mitglieder mit Kindern“ gilt ab 1.7.2023 der Beitragssatz (wie mit 1 Kind) in Höhe von 3,4 Prozent.
Mitglieder mit Kindern können nur dann in den Genuss der Beitragsabschläge kommen, wenn der beitragsabführenden Stelle bzw. der Pflegekasse die maßgeblichen Fakten bekannt ist.
Da nunmehr nicht mehr nur die Elterneigenschaft für die Höhe des Pflegeversicherungsbeitrags maßgeblich ist, sondern auch die Anzahl der Kinder und ihr Alter, sind diese Angaben künftig auch gegenüber der beitragsabführenden Stelle bzw. bei (aktuell rund 440.000) Selbstzahler*innen gegenüber der Pflegekasse nachzuweisen. Dazu sollen möglichst zeitnah einheitliche, zentralisierte und digitalisierte Verfahren installiert werden. Darauf sind wir gespannt!
Denn die Abfrage über die Kinderzahl ist nunmehr für alle gesetzlich Pflegeversicherten durchzuführen, da alle jemals bestehenden Elternschaften berücksichtigt werden. Das weicht von der bisherigen Praxis, bei der die Abfrage über die Elterneigenschaft nur für ab dem 1.1.1940 geborenen Versicherte durchgeführt werden musste, ab.
Damit ist ein erheblicher Verwaltungsaufwand insbes. der gesetzlichen Rentenversicherung und der Versorgungsträger der betrieblichen Altersversorgung verbunden.
Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Vorgesehen ist ein Inkrafttreten bereits ab 1.7.2023 und ein Übergangszeitraum für die nachträgliche Berücksichtigung später eingehender Informationen bis Jahresende 2023.
Mit dem Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) sollen auch die Pflegeleistungen verbessert werden. Dazu mehr, wenn der Gesetzentwurf umgesetzt und das PUEG in Kraft getreten ist.
[4.5.2023]