17.12.24
Wenn wir uns als offene und inklusive „Einwanderungsgesellschaft“ bezeichnen möchten, müssen wir verstärkt dafür sorgen, dass zugezogene Menschen Unterstützung und Hilfe dabei bekommen, sich durch den „bürokratischen Dschungel“ Deutschlands zu kämpfen. Beratung über Möglichkeiten, Rechte und (aber) auch Pflichten sollten jede*r zugänglich sein. Oft sind wir als Gewerkschafter*innen nicht sehr erfolgreich darin, migrantische Communities außerhalb von traditionellen betrieblichen Strukturen zu erreichen. Neben anderen sozialen Partner*innen, staatlichen Einrichtungen und Beratungsstellen, ist das aber auch die Aufgabe der Gewerkschaftsbewegung.
Viele Branchen, die in den Organisationsbereich von ver.di fallen, sind immer mehr von migrantischen Fachkräften geprägt. Es gibt bereits spannende und erfolgreiche Ansätze wie „Faire Integration“ und „Faire Mobilität“. Der LKW-Fahrer*innen-Streik in Gräfenhausen dieses Jahr ist ein Paradebeispiel für gelungene Gewerkschaftsarbeit, die auf migrantische Communities zugeht und sich aktiv für ihre gewerkschaftliche Organisation einsetzt.
Trotzdem werden besonders migrantische Frauen, die häufig in sehr prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten und feststecken, in denen sie von Kolleg*innen isoliert und oft selbstständig arbeiten; nicht in diese Kämpfe inkludiert werden können, weil die Vernetzung fehlt und der Arbeitsalltag eh sehr belastend ist. Viele dieser Frauen suchen Unterstützung bei anderen Frauen in sozialen Medien, die bereits ähnliche Erfahrungen gemacht haben – abseits von Gewerkschaften sowie staatlichen oder sozialen Beratungsstellen.
„Digital Streetwork“ nennt sich das Konzept, das von der Forschungsorganisation minor (in Kooperation u.a. mit der Bundesagentur für Arbeit) als Antwort auf dieses Problem entwickelt wurde. Daraus gewachsen ist unter anderem das Modellprojekt „Fem.OS“ sowie der Nachfolger „Fem.OS Plus“, die aufsuchende Erst- und Verweisberatung in digitalen Netzwerken von migrantischen Frauen in Deutschland anbieten.
In insgesamt acht Sprachen beraten und informieren Mitarbeiter*innen Frauen aus Drittstaaten in Vernetzungsgruppen, die nach Deutschland gekommen sind und sich bei Problemen hilfesuchend an die Schwarmintelligenz von Facebook-, Telegram- und anderen Social Media-Kanälen wenden. Von 2020 bis 2022 wurden so über 12.000 Fragen von fachlich geschulten Mitgliedern direkt in der Community beantwortet. Auf diese Weise wird bereits existierender digitaler peer-to-peer-support professionalisiert, fachlich verbessert und Community Organizing vorangetrieben, anstatt sich ausschließlich auf Beratungsangebote zu verlassen, die zum Teil realitätsfern, an der Zielgruppe der migrantischen Frauen vorbei, (auch analog) angeboten werden.
Mit der Kombination aus fachlicher Beratung, der Vermittlung anderer Unterstützungsangebote und dem Austausch von Erfahrungen wurde ein großes Potenzial gehoben. Jetzt endlich Menschen zu erreichen, die aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen mit dem deutschen Staat kein Vertrauen mehr in traditionelle, staatlich organisierte Beratungsstellen haben oder gar nicht von ihrer Existenz wissen. Besonders Beschäftigte in hochprekären Branchen, wie zum Beispiel Live-in Pflegekräfte, Au-Pairs oder „Nannies“, die oft „unsichtbar“ bleiben, vereinzelt und nicht organisiert arbeiten, können so besser informiert und unterstützt werden. Außerdem wurde hier eine wichtige Schnittstelle geschaffen, um Frauen aus Drittstaaten den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Der Erfolg und die hohe Nachfrage von „Fem.OS“ und „Fem.OS Plus“, sprechen für sich. Tausende Frauen werden so täglich erreicht. Informationen zu Arbeits- und Sozialrecht, Beruflichen Qualifikationen, Arbeitssuche und Orientierung auf dem Arbeitsmarkt können hier mit den Mitgliedern der peer-to-peer-Gruppen geteilt werden.
Als ver.di können wir auf jeden Fall etwas von dem Projekt lernen und adaptieren, was gut funktioniert. Die Community Organizing-Ansätze sind vielversprechend und gut erprobt. Sie eignen sich besonders gut für Frauen aus Drittstaaten. Um ihnen mehr Unterstützung zu bieten, sodass sie von Anfang an fair in den Arbeitsmarkt „integriert“ werden können.
Mehr Informationen findet ihr unter: Projekte - Minor - Digital
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