09.09.24
Die Union hat ihre Ankündigung wahrgemacht und das geplante Bürgergeld-Gesetz in der Sondersitzung am 14.11.2022 im Bundesrat, in dem die Ampel keine eigene Mehrheit hat, scheitern lassen. Im Vermittlungsausschuss am 23.11.2022 musste sich die Ampel auf einen Kompromiss mit der Union einlassen, damit das Bürger*innengeld zum 1.1.2023 starten kann. Bundestag und Bundesrat haben dem am 25.11.2022 zugestimmt.
Mit dem Bürgergeld-Gesetz will die „Ampel-Regierung“ Hartz IV hinter sich lassen“; das Bürger*innengeld soll Hartz IV ablösen.
Ziel ist es, mehr Respekt und mehr soziale Sicherheit in einer modernen Arbeitswelt zu verankern und unnötige Bürokratie abzubauen. So sollen Vertrauen und der Umgang auf Augenhöhe mit den Betroffenen stärker in den Fokus rücken. Gleichzeitig soll die Leistung Einzelner mehr Anerkennung finden. Den Betroffenen sollen soziale Teilhabe, langfristige Perspektiven und neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden.
Durch finanzielle Anreize soll die Weiterbildung gestärkt und Sanktionen deutlich abgemildert, Geringqualifizierte sollen auf dem Weg zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung unterstützt werden.
Das Bürgergeld-Gesetz, so wie es von Hubertus Heil ursprünglich in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurde, strebte einen Paradigmenwechsel an: Weg von der Sanktionspraxis hin zu deutlich mehr Motivation und Vertrauen. Dieser kann aber nur gelingen, wenn er auch personell begleitet wird – ein Aspekt, für den sich ver.di ganz besonders einsetzt.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Neubemessung der Regelsätze. Diese sollen jetzt um nur rund 50 Euro erhöht werden; zu wenig findet ver.di und fordert eine Erhöhung um rund 200 Euro. Mit den rund 50 Euro findet nur ein Inflationsausgleich, nicht jedoch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neubemessung der Regelsätze statt.
Damit die angehobenen Regelsätze zum 1.1.2023 ausgezahlt werden können, hat die Bundesagentur für Arbeit darauf hingewiesen, dass die Entscheidung im Bundesrat bis zum 30.11.2022 getroffen sein muss. Die weiteren Teile sollen dann zum 1.7.2023 in Kraft treten.
Vor den Abstimmungen in Bundestag und Bundesrat kritisierte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke den Kompromiss: „Die von den Unionsparteien durchgesetzten Änderungen beim geplanten Bürger*innengeld bedeuten einen schlechten Kompromiss zu Lasten der Menschen, die Hilfe und positive Begleitung statt Bestrafung brauchen, um ihre Arbeitslosigkeit zu überwinden. Damit lebt das Bestrafungs- und Sanktionssystem Hartz IV, das die rot-grün-gelbe Bundesregierung ablösen wollte, fast unverändert weiter.“
Die Streichung der weitgehend sanktionsfreien sechsmonatigen Vertrauenszeit sei dafür bezeichnend. Auch die Kürzung der zweijährigen Karenzzeit auf ein Jahr, die eine angstfreie Konzentration auf Qualifizierung und Vermittlung ermöglichen soll, erhöhe den Druck auf die Betroffenen.
„Der Union geht es offensichtlich nicht darum, die Situation der Betroffenen zu verbessern, sondern ihre Blockademacht im Bundesrat zur Schau zu stellen und sich als rechte Opposition zu profilieren“, so Frank Werneke.
1. Sanktionen und Vertrauenszeit
Der Gesetzentwurf – vor den Verschlechterungen durch die Union – sah vor, dass es künftig in den ersten sechs Monaten keine Leistungsminderungen geben sollte, wenn mit dem Jobcenter verabredete Maßnahmeteilnahmen oder Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge unterlassen werden.
Sanktionen wegen mehrfachem Nichtmelden beim Jobcenter sollte es dagegen auch in dieser Vertrauenszeit in Höhe von bis zu 10 Prozent geben können. Nach sechs Monaten sieht der Entwurf bei einer Pflichtverletzung 20 Prozent weniger Leistung vor, bei jedem weiteren Mal 30 Prozent. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind Kürzungen von mehr als 30 Prozent nicht zulässig.
Die Union hat in dem „Kompromiss“ durchgesetzt, dass die geplante 6-monatige weitgehend sanktionsfreie Vertrauenszeit wieder gestrichen wird.
„Wer sich verweigert oder Termine verstreichen lässt, muss umgehend mit finanziellen Einbußen rechnen“, so die CSU in ihrem Infoblatt „CSU setzt durch: Sanktionen für Arbeitsverweigerer bleiben!“ und ist der Ansicht „Wir sorgen damit für mehr Gerechtigkeit. CDU und CSU sichern die soziale Balance in Deutschland“. Was für ein destruktives Sozialstaatsverständnis! Wir wollen doch einen Sozialstaat, der den Menschen hilft, ihre Potenziale zu entwickeln und neue Chancen zu ergreifen.
2. Schonvermögen und Karenzzeit
Die Ampel wollte eine 2-jährige Karenzzeit, in der Leistungsbeziehende das Ersparte nicht aufbrauchen müssen. 24 Monate lang sollten angemessene Kosten für Miete und Heizung übernommen werden. Erspartes sollte nicht aufgebraucht werden müssen, wenn es sich nicht um erhebliches Vermögen handelt. Als erheblich sollten 60.000 Euro und 30.000 Euro für jede weitere Person in der sogenannten Bedarfsgemeinschaft gelten (Schonvermögen).
Der Kompromiss sieht nun einen Betrag von 40.000 Euro für die erste Person einer Bedarfsgemeinschaft vor und 15.000 Euro für jede weitere.
Gleichwohl sieht ver.di auch positive Aspekte bei den Regelungen zum neuen Bürger*innengeld. Ein echter Fortschritt ist die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs.
Wie schon beim Arbeitslosengeld I soll künftig nicht allein die schnelle Vermittlung im Mittelpunkt stehen; dies ist insbesondere für Menschen wichtig, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben.
Für Betroffene gibt es künftig deutlich mehr Möglichkeiten, einen Berufsabschluss zu erreichen oder eine Weiterbildung zu absolvieren. Damit steigen auch die Chancen für eine bessere und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt.“
Hinweis:
Die Mitgliedsgewerkschaften hatten mit dem DGB für die Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestags (A+S-Ausschuss) am 7.11.2022 eine Stellungnahme erarbeitet und in den politischen Prozess eingebracht. Zu den besonderen ver.di relevanten Aspekten des Bürgergeld-Gesetzes hat ver.di eine eigene, ergänzende Stellungnahme abgegeben, die von einer Arbeitsgruppe aus ehren- und hauptamtlichen Kolleg*innen erarbeitet wurde.
[25.11.2022]
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