Rente und Arbeiten zur gleichen Zeit?
Eine Gesetzesänderung macht's möglich.
Ein finanziell attraktives Modell zur Gestaltung des Übergangs?
Mit dem 8. SGB IV-Änderungsgesetz wurden ab 1.1.2023 die Hinzuverdienstgrenzen bei vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten abgeschafft und bei Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) neu geregelt. Damit dürfte der Anreiz deutlich steigen, die Rente vorzeitig (z. B. ab dem 63. Lebensjahr) voll oder zum Teil mit Abschlägen zu beziehen und weiterzuarbeiten.
Was bedeutet das?
1. Für Altersrenten
Wer eine Altersrente vorzeitig, d.h. vor der Regelaltersgrenze (65/67) in Anspruch nimmt, also z. B. eine Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen ab dem 63. Lebensjahr, kann unbeschränkt hinzuverdienen. Es kommt wegen des Hinzuverdienstes zu keiner Anrechnung, zu keiner Kürzung der Rente.
Das war nicht immer so. Vor Corona betrug die jährliche Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten 6.300 Euro. Es konnte also ein Minijob ausgeübt werden, ohne dass die Rente gekürzt wurde. Überstieg der Hinzuverdienst diese Grenze, wurde die Altersrente gekürzt. Während der Pandemie wurden Arbeitskräfte, die bereits frühzeitig in Rente gegangen waren, zurückgeholt. Diese waren dazu aber nur bereit, wenn der Hinzuverdienst nicht die Rente mindert. Deshalb erfolgte die Anhebung der Hinzuverdienstgrenze auf jährlich rund 46.000 Euro. Mit der zum Jahresbeginn 2023 verabschiedeten Änderung wurde die Hinzuverdienstgrenze bei Altersrenten ganz abgeschafft.
Um zu prüfen, wer wann in Rente gehen kann, siehe die ver.di Rententabelle unter https://t1p.de/verdi-Rententabelle.
2. Für EM-Renten
Neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung wird der anrechnungsfreie Hinzuverdienst auf rund 17.000 Euro (Dreiachtel des 14-fachen der monatlichen Bezugsgröße) und neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (auch wegen Berufsunfähigkeit) auf rund 34.000 Euro im Jahr (Sechsachtel des 14-fachen der monatlichen Bezugsgröße) angehoben. Neben einer Knappschaftsausgleichsleistung ist ein Hinzuverdienst von jährlich rund 17.000 Euro (Dreiachtel des 14-fachen der monatlichen Bezugsgröße) möglich.
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Trend zum vorzeitigen Eintritt in die Rente nimmt zu
Mehr Menschen gehen vorzeitig in den Ruhestand und haben dabei Abschläge in Kauf genommen. Nach Zahlen der Deutschen Rentenversicherung Bund gab es im Jahr 2021 insgesamt 210.616 neue vorzeitige Altersrenten, was 24,5 Prozent aller Altersrenten entspricht. Im Jahr davor waren es nur 193.839 Neurenten mit Abschlägen (23,4 Prozent) gewesen.
Die Rentenabschläge betrugen 2022 den Angaben zufolge durchschnittlich 110 Euro, die Altersbezüge waren somit um 8,3 Prozent niedriger. Die Betroffenen verabschiedeten sich im Schnitt 27,7 Monate früher aus dem Erwerbsleben. Besonders häufig (40 Prozent) taten dies Frauen aus den neuen Bundesländern.
Grund für den Anstieg ist die stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze seit 2012 auf 67 Jahre. In 2023 liegt sie bei 66,3 Jahren, jedes Jahr steigt sie um einen Monat. So vergrößert sich der Zeitraum, in der langjährig Versicherte ab 63 Jahren in Ruhestand gehen können.
Quelle: PM der Deutschen Rentenversicherung vom 27.10.2022
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Hinweis: Neben den pauschalen Hinzuverdienstgrenzen gilt die bisherige individuelle Hinzuverdienstgrenze weiter, die sich am höchsten Verdienst der letzten 15 Jahre vor dem Eintritt der Erwerbsminderung orientiert. Die individuelle Grenze kann höher sein als die pauschale Grenze. Die Höhe der individuellen Grenze kann dem Rentenbescheid entnommen oder bei der Deutschen Rentenversicherung erfragt werden.
Die bisherige Sonderregelung, dass Einkommen aus bestimmten Ehrenämtern kein Hinzuverdienst ist, ist Ende 2022 ausgelaufen.
Attraktives Modell?
Hier muss zwischen den Altersrenten, die vorzeitig mit Abschlägen und der „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“, der sogenannten Rente ab 63 (die nicht vorzeitig beansprucht werden kann, auch wenn die 45 Jahre vorher erfüllt sind) unterschieden werden.
Wer in die „Rente ab 63“ eintritt, hat keine Abschläge und kann durch die Weiterarbeit z. B. bis zur Regelaltersgrenze seine Rente steigern.
Wer eine Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nimmt und weiterarbeitet, kann in der Zeit der Weiterarbeit einen Teil der Abschläge wieder ausgleichen.
Wer z. B. die Altersrente mit Abschlägen mit vollendetem 63. Lebensjahr in Anspruch nimmt, könnte so für bis zu 4 Jahren (63–67) neben dem Verdienst die geminderte Rente erhalten, also „doppelt“ Geld bekommen. Das kann einen Anreiz bilden, um länger im Erwerbsleben zu verbleiben.
Neben Abschlägen, die die längere Bezugsdauer der Rente ausgleicht, wird danach unterschieden, ob die Rente voll oder zum Teil in Anspruch genommen wird. Dann spricht man von einer Voll- bzw. Teilrente. Eine abschlagsbehaftete oder eine Rente ohne Abschläge kann also voll oder zum Teil in Anspruch genommen werden.
Der Bezug der Rente, ob als Voll- oder Teilrente, ermöglicht es aber auch, die Arbeitszeit in den letzten Jahren zu reduzieren, den ausfallenden Verdienst mit der vorzeitigen Rente auszugleichen und so in die Rente zu gleiten. Durch die (teilweise) Weiterarbeit können die Abschläge zum Teil wieder ausgeglichen werden.
Denkbar ist auch, die Abschläge durch Zahlung ganz oder teilweise auszugleichen (siehe dazu sopoaktuell Nr. 333).
Beispiel 1
Anna, geboren 1964, überlegt, wie sie ihren Übergang in die Rente gestalten könnte. Sie möchte mit 63 ihre Altersrente beziehen und voll zum Durchschnittsverdienst (in 2023 jährlich 43.142 Euro) weiterarbeiten. Sie wird mit 63 auf ihrem Rentenkonto 45 Entgeltpunkte (EP) haben und kann nach aktuellen Werten mit einer Bruttorente von 1.692 Euro (ab 1.7.23 37,60 Euro x 45 EP) rechnen. Ihr Abschlag betrüge 14,4 Prozent, also rd. 244 Euro oder 6,5 EP. Durch die Weiterarbeit erhält Anna jährlich 1 EP auf ihr Rentenkonto; nach 4 Jahren also 4 EP und kann damit die Minderung teilweise ausgleichen.
Wenn sie dann mit 67 in Rente geht, hat sie nur noch einen (lebenslangen) Abschlag von 2,5 EP, also von 94 Euro. Dafür hat sie 4 Jahre monatlich rund 1.448 Euro (ohne Berücksichtigung der jährlichen Rentenanpassungen), rund 69.500 Euro erhalten.
Gegenrechnen kann sie die rd. 94 Euro Abschläge, die sie lebenslang in Kauf nehmen muss. Bei einer unterstellten Rentenbezugszeit von 20 Jahren wären das rund 22.560 Euro. Sie hätte also rund 47.000 Euro mehr zur Verfügung, neben dem Verdienst für die 4 Jahre.
Beispiel 2
Benno, 1960 geboren, erfüllt die Voraussetzungen für die abschlagsfreie „Rente ab 63“ mit 64 Jahren und 4 Monaten. Seine Regelaltersrente könnte er mit 66 Jahren und 4 Monaten in Anspruch nehmen. Bruno bezieht ab 64 Jahren und 4 Monaten seine Rente und arbeitet die 2 Jahre bis zur Regelaltersrente weiter. Damit erhöht er seine Rente und bezieht in den beiden Jahren Einkommen und Rente gleichzeitig.
Rente und Gehalt gleichzeitig – geht das so einfach?
Es kommt ganz darauf an, was im Arbeitsvertrag/Tarifvertrag steht.
Variante 1: Mit der Formulierung „Das Arbeitsverhältnis endet mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (ohne dass es einer Kündigung bedarf).“ gibt es keine Probleme.
Variante 2: Anders verhält es sich mit der Formulierung „Das Arbeitsverhältnis endet spätestens mit Erreichen der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung oder mit Ablauf des Monats, in dem eine Rente wegen Alters gewährt wird.“ Hier endet das Arbeitsverhältnis dann, wenn eine Altersrente bezogen wird. Rente und Verdienst können nicht zeitgleich bezogen werden. Hier müssten Vertrag bzw. Tarifvertrag geändert werden.
Variante 3: Wieder anders verhält es sich mit der Formulierung „Das Arbeitsverhältnis endet spätestens mit Erreichen der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung oder mit Ablauf des Monats, in dem eine Rente wegen Alters in voller Höhe gewährt wird.“ Hier können Rente und Verdienst dann nicht zeitgleich bezogen werden, wenn die Rente in voller Höhe bezogen wird. Würde die Rente aber als Teilrente (z. B. zu 99 Prozent) in Anspruch genommen werden, dann wäre der gleichzeitige Bezug von Rente und Verdienst möglich. Vertrag bzw. Tarifvertrag müssten nicht geändert werden. Der/die Rentner*in müsste dann nur bei der Rentenversicherung beantragen, die Rente als Teilrente (z. B. in Höhe von 99 Prozent) zu erhalten. Wenn der Verdienst dann wegfällt, kann die Vollrente bezogen werden.
In jedem Fall sollte, bevor eine solch weitreichende Entscheidung getroffen wird, fachkundiger Rat eingeholt werden.
Wo ist der Haken? – Krankengeld, Alg I & Co
Wird neben der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente hinzuverdient, ist Folgendes zu beachten:
Krankengeld ab der 7. Woche der Arbeitsunfähigkeit: Der Bezug einer Altersrente als Vollrente oder einer vollen EM-Rente beendet den Krankengeldanspruch. Die Krankenversicherungsbeiträge werden paritätisch aus dem ermäßigten Beitragssatz von 14,0 Prozent zzgl. des kassenindividuellen Beitragssatzes errechnet. Während des Krankengeldbezugs wird auch kein neuer Krankengeldanspruch erworben
(§ 50 SGB V). Hier könnte eine Teilrente (s. o.) eine Lösung sein! Bei Teilrenten wird Krankengeld gezahlt (beim allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent).
Arbeitslosengeld (Alg): Wird eine Altersrente als Vollrente oder eine volle EM-Rente bezogen, ruht der Anspruch auf Alg. Bei einer Altersteilrente wird das Alg bis zum Ende des dritten Kalendermonats gezahlt, wenn die Teilrente mindestens 6 Monate parallel zur Beschäftigung vorlag § 156 SGB III.
Kurzarbeitergeld (KuG): Neben einer Altersrente als Vollrente ruht das KuG und wird nicht gezahlt (§ 107 Abs. 2 SGB III). Wird die Altersrente als Teilrente in Anspruch genommen (z. B. durch Reduzierung der Vollrente auf eine 99 prozentige Teilrente mit Beginn der Kurzarbeit), wird KuG ungekürzt gezahlt. Neben einer EM-Rente wird KuG gezahlt.
Aufgepasst!
Wenn Rente und Erwerbseinkommen gleichzeitig bezogen werden, müssen natürlich auch auf beide Einkünfte Steuern gezahlt werden.
Für die Steuer gilt: Erwerbseinkünfte sind steuerlich Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit (§ 19 EStG); Renten gehören zu den sonstigen Einkünften (§ 22 EStG). Dort findet sich auch eine Tabelle über den Besteuerungsanateil der Rente abhängig vom Jahr des Rentenbeginns. Wer also z. B. 2024 in Rente geht, muss 84 Prozent, bei einem Rentenbeginn 2025 85 Prozent der Rente der Steuer unterwerfen.
Für die Sozialversicherung gilt: Wenn die Erwerbstätigkeit sozialversicherungspflichtig fortgeführt wird, sind von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen je hälftig die Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu zahlen. Wer 9/10 der zweiten Hälfte des Erwerbslebens pflicht- oder freiwillig versichertes Mitglied oder familienversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung ist, ist in der Rente in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) versichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V). Wer Rente bezieht, muss den halben Kranken- und den vollen Pflegeversicherungsbeitrag bis zur Beitragsbemessungsgrenze zahlen, der in 2023 bundeseinheitlich bei 4.987,50 Euro monatlich liegt.
In jedem Fall sollte, bevor eine solch weitreichende Entscheidung getroffen wird, fachkundiger Rat eingeholt werden.
Zur Info
Sowohl in der Stellungnahme wie auch in der Anhörung zum 8. SGB IV-Änderungsgesetz haben DGB und die Einzelgewerkschaften darauf hingewiesen, dass die vorgenannten sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften mit dem Wegfall bzw. Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen harmonisiert werden müssen, damit es nicht zu Lücken in der sozialen Absicherung bei den Beschäftigten kommt, die die neuen Gestaltungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen. Wir werden über den Fortgang berichten.
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Kleines Glossar:
Altersrenten können als Vollrente oder als Teilrente gezahlt werden (§ 42 SGB VI). Der Anteil der Teilrente kann bei den Altersrenten beliebig gewählt werden, solange er mindestens 10 Prozent oder höchstens 99,99 Prozent der Vollrente beträgt. Mit der Teilrente soll der Übergang in den Ruhestand erleichtert werden.
EM-Renten werden als volle oder teilweise (50 Prozent) EM-Renten gewährt.
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Was passiert, wenn ich die Regelaltersgrenze erreicht habe?
Auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze kann unbeschränkt zur Rente hinzuverdient werden. Beiträge zur Rentenversicherung können von Arbeitnehmer*innen weiterhin zur Erhöhung der Rente geleistet werden, müssen es aber nicht. Arbeitgeber*innen müssen für ihre Rentner-Arbeitnehmer*innen Beiträge zur gesetzlichen Rente zahlen. Rentner*innen müssen auf ihre Arbeitseinkünfte weiterhin Steuern zahlen.
Mit einem Minijob (mtl. 520 Euro), der Übungsleiterpauschale (mtl. 250 Euro) und einem Ehrenamt (mtl.70 Euro), gesamt max. 840 Euro, lässt sich die Rente jedoch steuer- und beitragsfrei ergänzen, da sie nicht dem Entgelt zugerechnet werden.
[25.5.2023]