04.11.24
Eine Idee wird nicht besser, wenn die Begriffe und Namen dafür laufend geändert werden – das beweist gerade die Diskussion um die Aktienrente/Aktienrücklage/das Generationenkapital.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, zur „langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung“ (GRV) einzusteigen (siehe sopoaktuell Nr. 335 vom 22.11.2022). Dieses Vorhaben soll – zusammen mit der Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent im Rentenpaket II, das in den nächsten Wochen erwartet wird – gesetzgeberisch auf den Weg gebracht werden.
Der für den Einstieg in die Kapitaldeckung notwendige Kapitalstock soll teilweise kreditfinanziert aufgebaut werden. Erträge des Kapitalstocks sollen ab Mitte der 2030er Jahre einen Beitrag zur Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung leisten. Dazu sollen diesem Kapitalstock im Jahr 2023 Haushaltsmittel in Form von Darlehen i. H. v. 10 Mrd. Euro zugeführt werden.
Das Generationenkapital soll den Beitragssatzanstieg ab Mitte der 2030er Jahre abdämpfen.
Nach den Berechnungen im Rentenversicherungsbericht 2022 bleibt der Beitragssatz von aktuell 18,6 Prozent bis zum Jahr 2026 stabil, steigt im Jahr 2027 auf 19,3 Prozent, bis zum Jahr 2030 auf 20,2 Prozent und bis zum Ende des Vorausberechnungszeitraums im Jahr 2036 auf 21,3 Prozent. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bringt ein Prozentpunkt Beitragssatzerhöhung Mehreinnahmen von rund 17 Mrd. Euro.
sopo: Der Beitragssatz wird von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen je zur Hälfte getragen. Die Arbeitgeber*innen tragen so ihre soziale Verantwortung für die Alterssicherung ihrer Beschäftigten mit. Ein moderat steigender Beitragssatz ist erforderlich, um eine gute Leistung zu finanzieren. Im österreichischen Rentensystem wird problemlos ein Beitragssatz von 22,8 Prozent erhoben; die Arbeitgeber*innen zahlen dort deutlich mehr als die Arbeitnehmer*innen. Einfacher und kostengünstiger wäre es, den steigenden Beitragssatz wie bisher im Umlageverfahren zu erheben.
Zum Start im Jahr 2023 sollen hierfür 10 Milliarden Euro kreditfinanziert aufgewendet werden. Dass das bei Weitem nicht reicht, ist auch dem Bundesfinanzminister Lindner klar, denn er beabsichtigt, das Kapital für die Aktienrente deutlich aufzustocken. „Wir brauchen mittel- bis langfristig eine dreistellige Milliardensumme, damit die Erträge einen spürbaren Effekt auf die Stabilisierung der Rentenbeiträge und des Rentenniveaus haben können.“
Bereits heute bräuchte es gut 17 Mrd. Euro, um den Anstieg des Beitragssatzes um nur einen Prozentpunkt zu verhindern. Diese 17 Mrd. Euro müssten als Ertrag aus den angelegten Aktienfonds jährlich erwirtschaften werden. Ausgehend von einer optimistischen Rendite von jährlich 8 Prozent, müsste der Fonds dafür einen Wert von rund 212,5 Mrd. Euro haben. Da die angenommenen 8 Prozent Rendite auf historischen Daten über mehrere Jahrzehnte basieren und die Renditen im langfristigen Verlauf in der Tendenz abnehmen, ist es aber nicht sehr wahrscheinlich, dass der Fonds eine solche Durchschnittsrendite dauerhaft erwirtschaften kann. Bei einer geringer angenommenen Rendite von 5 Prozent müsste der Fonds mit rund 340 Mrd. Euro ausgestattet sein und bei einer konservativ kalkulierten Rendite von 3 Prozent wären es sogar knapp 570 Mrd. Euro – wohlgemerkt um nur einen Prozentpunkt Beitragssatzanstieg zu verhindern. Da bis zum Ende des Vorausberechnungszeitraums im Jahr 2036 der Beitragssatz auf 21,3 Prozent und damit um knapp 3 Prozent -Punkte steigen soll, wären Kapitalbeträge erforderlich, die jenseits allem Vorstell- und Realisierbaren liegen.
sopo: Ein Beitragssatzanstieg von 18,6 Prozent auf 21,3 Prozent, also um 2,7 Prozentpunkte, würde da-gegen insgesamt rund 45 Mrd. Euro kosten, je zur Hälfte von Arbeitgeber*innen und Arbeitneh-mer*innen finanziert. Da diese Beträge in Stufen über mehrere Jahre aufzubringen wären, erscheint dies im Vergleich zum Aufbau eines enormen Kapi-talstocks als die weitaus sinnvollere und bessere Al-ternative.
„Die Aufstockung in den Folgejahren könnte sich neben Darlehen auch aus Zuschüssen sowie bereits bestehenden Beteiligungen des Bundes speisen. … Über die Art und den Umfang der jährlichen Mittelzuführungen wird der Deutsche Bundestag entscheiden.“ BMF Monatsbericht Januar 2023)
sopo: Die große Gefahr besteht darin, dass künftig auch Beitragsmittel (wie in Schweden) in das Generationenkapital fließen. Damit wären Leistungskürzungen in der GRV verbunden.
Geklärt ist bisher auch nicht, wer das Risiko trägt, wenn sich die Kapitalanlage nicht wie erwartet entwickelt und die Erträge für die geplante Beitragssatzstabilität nicht ausreichen.
Deshalb: Jegliche Umgestaltungen der gesetzlichen Rentenversicherung, einen Teil des Beitragsaufkommens kapitalgedeckt anzulegen, um aus den Erträgen künftige Beitragssatzsteigerungen ganz oder teilweise abzufedern, lehnt ver.di vehement ab. ver.di fordert, dass alles unternommen wird, um zu verhindern, dass das „Generationenkapital/die Aktienrente“ ein Einfallstor für eine beitragsfinanzierte Kapitaldeckung in der GRV wird.
[5.4.2023]
Zum Thema Aktienrente siehe auch: sopoaktuell Nr. 335 vom 22.11.2022, „Aktienrente I“
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