Einwanderung als Chance wahrnehmen

09.04.2024

Bericht von einer Tagung zu Wunsch und Wirklichkeit der Einwanderungsgesellschaft Deutschland

Das Hauptziel war eine Bewertung der verabschiedeten migrations- und integrationspolitischen Maßnahmen, die durch den Koalitionsvertrag 2021 festgelegt wurden. Der Schwerpunkt lag insbesondere darauf, zu beleuchten, inwiefern gewerkschaftliche Anforderungen bei der Umsetzung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Fachkräfteeinwanderung zum Tragen kommen.

Eröffnet wurde die Tagung durch Dr. Sabine Fandrych, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der FES. In ihrer Rede betonte sie die Wichtigkeit der Kooperation zwischen der FES und dem DGB. Anschließend machte Anja Piel, DGB-Vorstand, in ihrer Begrüßungsrede für den DGB deutlich, dass die beschlossenen Gesetze in der Praxis nun bestmöglich umgesetzt werden müssen. Fundamental ist hierbei, dass die Menschen, die nach Deutschland kommen, sich hier willkommen fühlen.

Im ersten inhaltlichen Part der Tagung gab es eine Podiumsdiskussion zwischen Hubertus Heil (Bundesminister für Arbeit und Soziales) und Yasmin Fahimi (Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes). Dabei wurde sich grundlegend mit der Frage auseinandergesetzt, warum Deutschland Einwanderung benötigt und durch welche Rahmenbedingungen Eingewanderten die langfristige Aufrechterhaltung in Deutschland gewährleistet werden können.

Heil sieht deutlichen Bedarf, die Berufsanerkennung zu verbessern. 

 
DGB/FES-Veranstaltung "Wunsch und Wirklichkeit der Einwanderungsgesellschaft Deutschland" Yasmin Fahimi (DGB-Vors.) und Arbeitsminister Heil auf dem Podium

Hubertus Heil betonte die Notwendigkeit, die Einwanderung nach Deutschland zu erleichtern und griff die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf, nach der eine Steigerung von 7 Millionen Beschäftigten in Deutschland nötig sei. Die IAB fasst diesen Befund so zusammen:

„Aus demografischen Gründen würde das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland von derzeit 47,4 Millionen Personen zwischen 2020 und 2035 voraussichtlich um 7,2 Millionen, bis 2060 noch einmal um 8,9 Millionen Arbeitskräfte sinken.“ (Zitat aus IAB-Kurzbericht 25/2021)

Um diesen Bedarf zu gewährleisten, müsse man alle Möglichkeiten in Anspruch nehmen. Dabei teilt der Bundesminister für Arbeit und Soziales die Optionen in drei Möglichkeiten ein.

Die erste Möglichkeit sei die Steigerung des inländischen Potenzials. Menschen, die bereits in Deutschland leben und arbeiten, müsse man auf die Transformation vorbereiten. Ein weiterer wichtiger Faktor sei es, dass die Erwerbstätigkeit bei Frauen gesteigert werden müsse, da Frauen öfter als Männer in Teilzeit beschäftigt sind. Betroffen sind hiervon beispielsweise viele alleinerziehende Mütter.

Die zweite Möglichkeit definierte Heil durch den Produktivitätsfortschritt. Hierbei müsse sich die Gesellschaft auch thematisch stärker mit zentralen Fragen wie der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz auseinandersetzen.

Die dritte Möglichkeit ist die Steigerung der Einwanderung. Der Bundesminister machte in seinem Vortrag deutlich, dass Deutschland auf Menschen aus dem Ausland angewiesen sei und sich das Land im internationalen Wettbewerb befinde. Durch die Sprachbarriere gäbe es einen essenziellen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu englisch-, französisch und spanisch sprechenden Ländern. Neben der Sprachbarriere sei die zu langsame Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen und -abschlüsse ein zentraler Aspekt, warum Deutschland als Standort für Einwanderung unattraktiv ist.

Heil betonte, dass die Gesellschaft es nicht tolerieren dürfe, wenn Einwanderung zur Lohndrückerei ausgenutzt werde. Die zugewanderten Menschen sollen sich als Bestandteil unserer Demokratie begreifen. Von daher müssen wir Bedingungen schaffen, die ihnen eine sichere Zukunft ermöglichen. Also gilt es, die Tarifbindung zu erhöhen. 

 
DGB/FES-Veranstaltung "Wunsch und Wirklichkeit der Einwanderungsgesellschaft Deutschland" Diskussion in den Arbeitsgruppen

Abschließend betonte Heil, dass die Bekämpfung des Rassismus und die Etablierung einer wirklichen Willkommenskultur in Deutschland auch dabei helfe, das Land als ein gutes Ziel für Einwanderung zu stärken.

Rassismus beträfe nicht nur Menschen, die nach Deutschland einwandern möchten, sondern auch Menschen, die bereits hier leben, arbeiten und in Deutschland geboren sind und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Auch für diese Menschen besitzen wir eine Verantwortung, dass sie sich als ein Teil unserer Gesellschaft verstehen. Heil betonte, dass Rassismus nicht nur ein Angriff auf unsere Demokratie sei, sondern auch ein Angriff auf unsere Ökonomie. Also müssen wir uns zur Einwanderungsgesellschaft bekennen und Einwanderung als Chance wahrnehmen.

DGB-Vorsitzende kritisiert erpresserisches Ausländerrecht

Fahimi verdeutlichte, dass die Fachkräfteeinwanderung ein zentraler Aspekt für die Zukunft sei. Sie betonte, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft sei und bleiben müsse. Die DGB-Vorsitzende stellte klar, dass Solidarität in der Arbeitswelt ein wichtiger Beitrag zur dringend benötigten Willkommenskultur sei. Im Vortrag thematisierte Yasmin Fahimi die Situation des Lohndumpings im Hinblick auf diejenigen, die 2015 nach Deutschland migriert seien. Betrachtet man diese Gruppe, wird deutlich, dass viele von ihnen sich in prekären Arbeitsverhältnissen wiederfinden. Dabei gibt es zwei Kernelemente, die zur Ausbeutung führen. Neben der Sprachbarriere sieht sie vor allem die Unkenntnis über die (Arbeits-)Rechte, die Menschen in Deutschland besitzen, als Problem. Es sei zudem von großer Bedeutung, dass Menschen sichere Arbeitsbedingungen genießen und nicht durch die Bindung ihres Aufenthaltsstatus an ihren Arbeitgeber zur Ausübung schlecht bezahlter Tätigkeiten gezwungen sind. Daher müsste die Tarifbindung erhöht werden.

Von der Theorie zur Praxis

 
DGB/FES-Veranstaltung "Wunsch und Wirklichkeit der Einwanderungsgesellschaft Deutschland" Rebecca Liebig (ver.di-Bundesvorstand) am Redepult

Im dritten Slot der Veranstaltung gab es eine Einführung in die neuen einwanderungspolitischen gesetzlichen Regelungen. Referiert wurde von Bettina Offer (Anwältin für Einwanderungsrecht). Inhaltlich wurden vier Schwerpunkte gesetzt (Chancenaufenthaltsrecht; Qualifikationsanerkennung; Westbalkanregelung; Einbürgerung). Zu jedem Schwerpunkt gab es eine Kommentierung. Zu Beginn eine von Katherina Grote (Bayerischer Flüchtlingsrat), die über Chancenaufenthaltsrecht sprach. Anschließend folgte eine Stellungnahme von Jan Krüger (DGB, Abteilung Bildung) zu der Qualifikationsanerkennung. Im dritten Teil gab es ein Statement von Antonius Allgaier (IG BAU) zu der Westbalkanregelung.

Rebecca Liebig (Mitglied des ver.di Bundesvorstandes) kommentierte die neuen Regelungen zur Einbürgerung, die sie im Kern überaus begrüßte. Verkürzte Fristen für die Möglichkeit der Antragsstellung (genauer hier) und die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit stärken die demokratische Mitbestimmung. Allerdings machte Rebecca Liebig auch deutlich, dass die neuen Regelungen negative Auswirkungen insbesondere auf marginalisierte Gruppen wie migrantische Frauen* haben können.

Nach der Vorstellung der neuen einwanderungspolitischen gesetzlichen Regelungen und den Kommentierungen gab es die jeweiligen vier Themenforen, in denen in Kleingruppen und Referierenden aus den DGB-Gewerkschaften, Minister*innen, Aktivist*innen, Personen aus den Behörden und andere Aktive über Chancenaufenthaltsrecht, Qualifikationsanerkennung, Westbalkanregelung und Einbürgerung diskutierten. Ziel war es, relevante Aspekte auszuarbeiten, die die Umsetzung in der Praxis verbessern könnten.

Einbürgerung wird aktiv unterstützt

Um die vier Themenschwerpunkte weiter zu bearbeiten, wurde auch in der abschließenden Podiumsdiskussion über sie diskutiert. In ihr wurde der Frage nachgegangen, was wir zur guten Umsetzung der neuen Einwanderungsgesetze brauchen. Auf dem Podium waren Anja Piel (Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstandes des DGB), Vanessa Ahuja (Vorstand der Bundesagentur für Arbeit), Christina Ramb (Mitglied der Hauptgeschäftsführung Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) und Volker Meier (Leiter des Arbeitsstabes der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration).

In der Podiumsdiskussion wurde vonseiten der Gewerkschaften deutlich gefordert, dass die Menschen, die nach Deutschland einwandern, bereits in den Herkunftsländern über ihre Rechte informiert werden, damit sie nicht ausgebeutet werden.

Die Arbeitgeber-Vertreterin sprach sich dafür aus, dass die Arbeits- und Arbeitsschutzbedingungen attraktiv gestaltet werden, um im internationalen Wettbewerb Personen davon zu überzeugen, sich für eine Einwanderung nach Deutschland zu entscheiden.

Innerhalb der gesellschaftspolitischen Debatte müsse deutlich werden, dass wir auf Einwanderung angewiesen sind. Daher komme der Willkommenskultur eine entscheidende Bedeutung zu.

Zusätzlich müssen für die verbesserte Kooperation zwischen den Behörden Schnittstellen geschaffen werden, um eine effektivere Umsetzung der gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie eine verbesserte Integration zu gewährleisten, als es derzeit der Fall ist.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan, gab zum Ende der Konferenz einen Ausblick auf die kommenden Herausforderungen für die erfolgreiche Umsetzung der neuen Gesetzgebung.

Alabali-Radovan betonte die starke Stellung der Gewerkschaften, Kommunen und zivilgesellschaftlichen Gruppen bei der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben und bedankte sich bei allen Beteiligten für ihren Einsatz für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Umsetzung der Einbürgerungsreform wird von einer Informationskampagne und der zentralen Webseite www.einbürgerung.de flankiert. 

OECD-Studie: Wer will nach Deutschland? Und wer schafft es? Neue Erkenntnisse aus einer Befragung ausländischer Fachkräfte

Auf der Tagung wurde Bezug auf eine OECD-Studie genommen. Die Ergebnisse der Studie stimmen mit den während der Tagung besprochenen Ergebnissen größtenteils überein. Die Schlussfolgerungen aus der Studie finden sich auf Folie 25 der Präsentation von Thomas Liebig.

[Murat Kara] 

 

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